«Wir haben nun das Problem, dass wir zwei Volksmeinungen haben, die sich widersprechen», sagt Thomas Geiser, Professor für Privat- und Handelsrecht an der Uni St. Gallen. Leider sei der Text der Masseneinwanderungs-Initiative so verfasst, dass es schwierig sei, wenn nicht unmöglich, ihn unter Einhaltung der Staatsverträge umzusetzen.
Zudem habe der Verfassungstext einen Haken. «Der Bundesrat muss den Text per Verordnung umsetzen, falls es das Parlament nicht schafft, ihn innerhalb von drei Jahren umzusetzen», so Geiser. Das Problem: Auf Verordnungsstufe gebe es kein fakultatives Referendum. Das Stimmvolk könne darüber also nicht abstimmen.
Man muss sie einfach aus der Schublade nehmen.
Doris Fiala, Nationalrätin der FDP, rät erst mal zur Ruhe. «Ich denke, man muss dem Bundesrat vertrauen.» Er habe ja das Bekenntnis abgegeben, den Text der Masseneinwanderungs-Initiative wortgetreu umzusetzen, so Fiala. Wenn die Umsetzung da sei, könne man immer noch was tun.
Jacqueline Fehr will darauf nicht warten. Die SP-Vizepräsidentin findet, es brauche eine rasche Antwort auf die Frage: Soll die Umsetzung der Initiative unter Wahrung der Bilateralen stattfinden oder soll man diese opfern? «Letzten Sonntag sagte das Volk klar Nein zur Ecopop. Das Volk sagte: Gute Beziehungen zu Europa sind gut für die Schweiz. Wir wollen ein gutes und geordnetes Verhältnis zu Europa. Aber war das am letzten Sonntag ein Ja zu den Bilateralen?»
Wie man die Masseneinwanderungs-Initiative umsetzen soll? «Man muss sie einfach aus der Schublade nehmen», sagt SVP-Vizepräsident Christoph Blocher. «Über 50 Prozent der Stimmenden haben gesagt: Wir senken die Zuwanderung. Wir bestimmen selber. Es gibt Höchstkontingente. Personen auf dem Schweizer Arbeitsmarkt müssen zuerst berücksichtigt werden.» Denn seit der Personenfreizügigkeit – als man der EU nachgegeben habe – habe das Volk gesehen, dass es so nicht mehr weitergehe, ist Blocher überzeugt. Man habe dem Volk gesagt, dass nicht mehr als 10'000 Personen in die Schweiz kämen. Doch nun seien es jedes Jahr bis zu 90‘000 Personen.
Geiser ist Mitglied der Gruppe «Raus aus der Sackgasse». Diese will den Entscheid der Masseneinwanderungs-Initiative per lancierter Initiative aufheben – sollte die Begrenzung der Zuwanderung nicht ohne Kündigung der Bilateralen umgesetzt werden. Der Rechtsprofessor glaubt, dass die Abstimmung der Masseneinwanderungs-Initiative stattgefunden habe, ohne die Details der Umsetzung zu kennen.
«Wir müssen aufpassen, es nicht noch komplizierter zu machen», findet Nationalrätin Fehr. «Wir brauchen keine neue Volksinitiative. Wir müssen mit den Vorlagen, die sowieso ins Parlament kommen, die richtige Reihenfolge finden.» So könnte man bei der Abstimmung zu Kroatien auch gleich über die Personenfreizügigkeit abstimmen, schlägt Fehr vor. Doch eine Personenfreizügigkeit à la carte gebe es nicht. «Nein zu Kroatien, heisst dann auch Nein zu den Bilateralen.»
Fiala kann dem nicht zustimmen. «Die Initiative der Masseneinwanderung besagt, Kontingente einzuführen. Das kann man auch, wenn man Ja zu Kroatien sagt», sagt sie. Man könne nicht einfach alles per Abstimmung wieder rückgängig machen, was einem nicht passt. Denn die Bevölkerung hätte dann das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden, sagt Fiala.
Die Wirtschaft kann alles schon heute machen, was in dieser Initiative steht. Und sie wird es sowieso machen oder sie wird es sowieso nicht machen.
«Die Initiative ist letztlich eine Rückversicherung, falls es dem Bundesrat nicht gelingt, zu einem vernünftigen Resultat zu kommen», wirft Geiser nochmals ein.
Blocher glaubt ihm nicht: «Sie wollen diese Abstimmung einfach rückgängig machen. Setzen sie doch endlich den Inländervorrang um. Wenn ein Unternehmen junge Leute aus dem Ausland nehmen kann, die billiger sind als Ältere aus dem Schweizer Arbeitsmarkt, dann nimmt es lieber die Jungen. Das macht jeder», so der SVP-Mann.
«Das Schweizer Volk hat mit einer knappen Mehrheit gesagt, wir wollen die Zuwanderung in den Griff bekommen», bekräftigt Fehr nochmals. Trotz Inländervorrang und Kontingenten könnten die Unternehmen die billigeren Arbeitskräfte anstellen. «Die Wirtschaft kann alles schon heute machen, was in dieser Initiative steht. Und sie wird es sowieso machen oder sie wird es sowieso nicht machen.»