SRF News: In ländlichen Regionen ist der Bevölkerungszuwachs unterdurchschnittlich. Manche Regionen verzeichnen gar einen Bevölkerungsschwund. In die Metropolregionen dagegen zieht es immer mehr Menschen. Wie bewerten sie diese Entwicklung?
Peter Hänni: Es kommt ganz auf die Idealvorstellung an. In den 1980er und -90er Jahren hat man die Entwicklung zu Ungunsten bestimmter ländlicher Regionen laufen lassen. Jetzt wiederum laufen Bestrebungen zur Stärkung der ländlichen Gebiete. Dort beobachten wir vor allem einen starken Trend zugunsten von Gemeindefusionen. So sind in den letzten dreissig Jahren fast 1000 Gemeinden durch Fusionen von der Landkarte verschwunden. Die neuen Gemeinden haben jedoch deutlich grössere Überlebenschancen.
Gleichzeitig gab es mit dem neuen Raumplanungsgesetz einen deutlichen Schritt hin zu einer Entwicklung, die mehr in Richtung Zentralisierung strebte. Darüber hat das Volk eindeutig abgestimmt. Durch dieses Gesetz sind die Kantone dazu verpflichtet, natürliche Grundlagen zu schützen und räumliche Voraussetzungen für die Wirtschaft zu schaffen. Im Ergebnis führt das Verdichtungsgebot zu einer weiteren Urbanisierung, was allerdings demokratisch abgestützt und politisch gewollt ist. Der Kanton Wallis hat als einziger Kanton das neue Raumplanungsgesetz abgelehnt.
Welche Rolle bei der Attraktivität für eine Region spielt dabei eine funktionierende Infrastruktur?
Eine entscheidende Rolle. Der Kanton Zürich soll sich gemäss seinem neuen Richtplan beispielsweise fast ausschliesslich entlang der S-Bahn-Linien entwickeln. Das führt dazu, dass ganze Gebiete nicht mehr entwickelt werden. Kurzum: Wo der Verkehr läuft, wird entwickelt.
Es liegt in der Logik des Kapitalismus, dass einzelne Gebiete mit fehlender wirtschaftlicher Perspektive irgendwann nicht mehr existieren können
Was passiert denn schlussendlich mit den Gebieten, die «nicht mehr entwickelt werden?
Es liegt in der Logik des Kapitalismus, dass einzelne Gebiete mit fehlender wirtschaftlicher Perspektive irgendwann nicht mehr existieren können. Fehlt die Wirtschaftskraft, fehlen die Arbeitsplätze – und die jungen Leute werden auf der Suche nach einer besseren Perspektive wegziehen. Läden und Schulen werden geschlossen, ebenso Poststellen, Spitäler oder auch Gastwirtschaften und am Schluss fehlt alles.
Bevölkerungswachstum
Allerdings ist die Entwicklung in der Schweiz im Vergleich mit anderen Ländern eher gemässigt. In Italien, Frankreich und auch Deutschland ist es noch weitaus dramatischer.
Sollte, zugunsten der wirtschaftsstarken Metropolregionen, ganz auf eine Unterstützung schrumpfender ländlicher Regionen verzichtet werden?
Nein, aber zwei Dinge müssen vorhanden sein: Der Wille, vor Ort etwas zu unternehmen und das Potenzial, um eine wirtschaftliche Entwicklung herbeizuführen. Da sind vor allem die Einheimischen gefragt. Der interkantonale und innerkantonale Finanzausgleich ist seit der Reform des Finanzausgleichs bedeutend effizienter geworden. Allerdings sind die Geberkantone und Gebergemeinden nicht bereit, grenzenlos ihre Leistungen zu erhöhen.
Es wird einfach nicht mehr überall, alles zu haben sein
Ist der Schweizer Föderalismus in seiner jetzigen Form also am Ende?
Nein, es ist nur eine Tendenz. Es wird einfach nicht mehr überall, alles zu haben sein. Das war eigentlich immer schon so. Menschen sind auch früher schon in andere Regionen gezogen, wenn sich wirtschaftliche Zwänge ergeben haben. Es werden auch nicht alle Dörfer «sterben». Manche schon, andere werden dagegen wachsen – subregionale Zentren werden entstehen. Was eine Zukunftsperspektive hat, wird unterstützt. Eine wichtige Rolle spielen die schon erwähnten Zusammenschlüsse von kleineren Gemeinden, die aus eigener Kraft kaum noch Chancen auf eine Weiterentwicklung haben.
Das Gespräch führte Oliver Roscher