Amar Rhabi erzählt in einem Video gegenüber der Schweizer Nichtregierungsorganisation Trial International, wie er während des algerischen Bürgerkriegs in den 1990er-Jahren gefoltert worden ist: «Die Polizisten legten mir einen mit Javelwasser getränkten Lappen aufs Gesicht, sodass ich beim Luftholen dieses Wasser einsaugte.»
Wenn die Polizisten mit einer Antwort nicht zufrieden waren, hätten sie das Gleiche mit Toilettenwasser wiederholt.
Anzeige in der Schweiz 2011
Der damalige algerische Verteidigungsminister Khaled Nezzar soll von solchen Foltermethoden gewusst oder sie sogar angeordnet haben. Als er 2011 in die Schweiz reiste, erstattete Trial International Strafanzeige wegen Kriegsverbrechen.
Eigentlich wollte Amar Rhabi das, was er im Video gesagt hat, vor dem Bundesstrafgericht in Bellinzona aussagen. Doch das Verfahren gegen Nezzar wird eingestellt. So hat es das Bundesstrafgericht in einem jetzt publizierten Urteil entschieden.
Nezzar ist vergangenen Dezember verstorben. Und gegen Tote wird in der Schweiz nicht ermittelt. Völlig überraschend kam Nezzars Tod nicht: Er wurde 86 Jahre alt.
Trotzdem hat sich die Bundesanwaltschaft zwölf Jahre Zeit gelassen, bis sie Anklage erhob. Sie wollte das Verfahren sogar einstellen, aber das Bundesstrafgericht zwang sie zum Weitermachen.
Verfahren dauerte sehr lange
Für Benoit Meystre von Trial International ist das unverständlich: «Das Gesetz verpflichtet die Bundesanwaltschaft, ernsthaft und zügig zu ermitteln.» Die Behörden hätten diese Vorgabe verletzt, weil das Verfahren so lange gedauert habe.
Doch das Bundesstrafgericht kommt in seinem Entscheid zu einem anderen Schluss: Das Verfahren habe nicht zu lange gedauert. Es sei für die Bundesanwaltschaft schwierig gewesen, Taten zu untersuchen, die historisch und geografisch so weit weg lägen.
Zudem habe Algerien keine Rechtshilfe geleistet. Und dann sei auch noch die Corona-Pandemie dazwischengekommen.
Der Einstellungsentscheid ist schockierend.
Die Opfer überzeugen diese Argumente nicht. Laut Meystre hat es zahlreiche Phasen gegeben, in denen die Bundesanwaltschaft nichts getan hat. «Für uns ist der Entscheid schockierend», sagt er jetzt.
Schweiz soll bezahlen
Die Privatkläger seien bereit, weiterzukämpfen, damit die Rechtsverweigerung, die sie erlitten hätten, von einem höheren Gericht anerkannt werde.
Meystre verlangt dafür eine Entschädigung – und zwar nicht vom Angeklagten Nezzar, sondern von der Schweiz, denn sie habe das Beschleunigungsgebot verletzt.
Das Bundesstrafgericht bestätigt, dass zwei Beschwerden bezüglich Genugtuungen eingegangen sind. Die Einstellung des Verfahrens gegen den toten Ex-Minister hingegen wurde nicht angefochten.
Von Radio SRF konfrontiert mit der Kritik, schreibt die Bundesanwaltschaft: Verfahren im internationalen Strafrecht seien komplex. Der neue Bundesanwalt Stefan Blättler habe das internationale Strafrecht ab 2022 aber zu einer Priorität gemacht.