Noch mit 80 Jahren in den eigenen vier Wänden – Marlies Kuster ist dies vergönnt. Und doch: Etwas plagt die Rentnerin. Die Stadtluzernerin ist finanziell nicht auf Rosen gebettet. Grosse Sprünge liegen nicht drin, Einsamkeit macht sich breit. «Ich war manchmal ein wenig traurig, weil ich nicht so viel Geld habe», sagt Marlies Kuster, heute 82, rückblickend. Zwar hatte sie 55 Jahre gearbeitet – geblieben aber war ihr nichts. Ihr Ex-Mann hatte ihren ganzen Verdienst verjubelt.
Ich war manchmal ein wenig traurig, weil ich nicht so viel Geld habe.
Ein Schreiben der Anlaufstelle Alter lässt sie Hoffnung schöpfen: Kuster erfährt von städtischen Altersgutscheinen – einem schweizweit einzigartigen Pilotprojekt. Eine Beraterin schlägt ihr vor, einmal monatlich auswärts essen zu gehen. Die Rentnerin ist hell begeistert. Ab und zu gibt es fortan ein bescheidenes Zmittag im Manor – am Gang zum Italiener hindern sie Scham und Stolz. Und auch von einem Fitnessabo macht sie Gebrauch. Die Gutscheine erlauben es Marlies Kuster, zeitweilig der sozialen Isolation zu entfliehen.
Gutscheine als unkomplizierte und schnelle Hilfe
Die Lebensqualität von Seniorinnen und Senioren zu erhöhen, ist denn auch ein Ziel des Stadtluzerner Pilotprojekts, das seit 2018 läuft. Die Gutscheine richten sich zum einen an Rentnerinnen und Rentner, die Ergänzungsleistungen (EL) beziehen oder mit einem sehr schmalen Budget haushalten müssen. Jene können sich damit beispielsweise einen Rollator anschaffen oder einen Mahlzeitendienst beanspruchen.
Zum anderen würden auch pflegende Angehörige von der Unterstützung profitieren, sagt Tina Sidler von der Anlaufstelle Alter. Der Senior oder die Seniorin werde tageweise in einer Institution betreut – der oder die Betreuende könne eine Pause einlegen. Für Sidler liegen die Vorteile der Gutscheine auf der Hand: «Unkompliziert und schnell» könne die Stadt der älteren Generation so unter die Arme greifen.
Stadt will Pilotprojekt nun in fixe Strukturen überführen
Dass sich das unbürokratische System bewährt, hat nun auch eine Evaluation durch Interface Politikstudien ergeben. Deshalb will die Luzerner Stadtregierung das Pilotprojekt ab 1. Januar 2023 in fixe Strukturen überführen.
«Es sind kleine Hilfen im Alltag», sagt der Stadtluzerner Sozialdirektor Martin Merki. Die Gutscheine sollen den Menschen erlauben, so lange wie möglich zu Hause zu leben. Denn dies sei ein grosser Wunsch der älteren Generation. «Die Hälfte der 94-Jährigen in der Stadt Luzern lebt noch daheim.» Da die Altersgruppe der über 80-Jährigen in den nächsten Jahren markant zunehmen wird, dürfte auch der Stellenwert der Gutscheine steigen.
Der Stadtrat will jährlich 150'000 Franken für das Gutscheinsystem einsetzen. Was zunächst nach einer hohen Summe tönt, relativiert sich auf den zweiten Blick: Gelingt es, den Heimeintritt von 12 Personen um ein Jahr – oder von etwa 45 Personen um drei Monate – hinauszuzögern, spart die Stadt Luzern alleine bei den Ergänzungsleistungen mehr Geld, als sie für das Gutscheinsystem pro Jahr ausgibt.
Für Sozialdirektor Merki sind die Gutscheine denn auch mehr als bloss ein Tropfen auf den heissen Stein. «Die Höhe des Betrags mag teilweise gering erscheinen. Aber für die Betroffenen ist er sehr wichtig.»
Die Höhe des Betrags mag teilweilse gering erscheinen. Aber für die Betroffenen ist er sehr wichtig.
Das Stadtparlament wird an seiner Sitzung vom 27. Oktober über die definitive Einführung der Altersgutscheine entscheiden.