Darum geht es: Mit ihrer Initiative «Schweizer Recht statt fremde Richter» («Selbstbestimmungs-Initiative») will die SVP Schweizer Recht über Völkerrecht stellen. Davon ausgenommen ist zwingendes Völkerrecht wie etwa das Verbot von Folter. Die Initiative sorgte schon bei der Ankündigung für Aufregung. Befürworter möchten die Souveränität der Schweiz retten. Die Gegner sehen die Menschenrechte in Gefahr. Nun äusserte sich der Ständerat als Erstrat zur Initiative.
Das wurde entschieden: Erwartungsgemäss formierte sich im Ständerat breiter Widerstand gegen die Initiative. Die kleine Kammer lehnte die Initiative denn auch deutlich mit 36 zu 6 Stimmen ab. Ein Gegenvorschlag von Andrea Caroni (FDP/AR), der klar regeln wollte, was bei Widersprüchen zwischen Schweizer Recht und Völkerrecht zu tun ist, wurde ebenfalls abgelehnt (27 zu 15).
Der Schweizer will selbst bestimmen.
Das sagen die Befürworter: Thomas Minder (SVP-Fraktion/SH) warf der Politik vor, sich im Verhältnis von Landes- und Völkerrecht wiederholt widersprüchlich zu verhalten. Wenn die ausländische Seite vertragsbrüchig werde, schlucke man die Kröte: «Wenn unser Souverän aber etwas in die Verfassung schreibt, was vielleicht völkerrechtlichen Verträgen widerspricht, heisst es sofort, der Initiant sei inkonsequent, der Text sei liederlich formuliert.» Minder nannte als Beispiel die Zuwanderungsinitiative.
Peter Föhn (SVP/SZ) warf dem Rat vor, die Schweizer Geschichte auszublenden: «Wir sprechen über einen Teil des Erbes unserer Vorfahren. Die Eidgenossen zogen in den Krieg, um sich von den Unterwerfern zu befreien.» Für diese Selbstbestimmung, die die Vorfahren erkämpft hätten, müsse man sich auch heute einsetzen: «Der Schweizer wird nicht geboren, um sich zu unterwerfen. Er will selbst bestimmen.»
Die «unkritische Haltung» vieler Räte gegenüber internationalem Recht sei absolut unverständlich, so Föhn: «Die schweizerische Besonderheit der direkten Demokratie wird ausgehebelt, wenn immer öfter internationale Abkommen Vorrang haben.» Die Selbstbestimmungs-Initiative schütze die kulturelle Vielfalt, das föderale System und die Minderheiten. Föhns Parteikollege Alex Kuprecht sekundierte: «Ein bisschen mehr ‹Switzerland first› würde dem Politverdruss in unserem Land entgegenwirken – was bitter nötig ist.»
Stellen Sie sich vor, was los wäre, wenn der amerikanische Präsident keine internationalen Fesseln hätte.
Das sagen die Gegner: Andrea Caroni (FDP/AR) kämpfte im Rat vergeblich für seinen Gegenvorschlag. Das Verhältnis zwischen Landes- und Völkerrecht solle generell in der Verfassung geregelt werden: «Die Lösung der Initiative ist dagegen mit zahlreichen Mängeln behaftet, am gravierendsten der völlig unklare Kündigungsauftrag. Ich will weder die Menschenrechtskonvention noch das Freizügigkeitsabkommen kündigen.»
Der Initiativtext sei konfus und widersprüchlich formuliert, sagte Fabio Abate (FDP/TI). Er warf den Initianten vor, die Verfassung als Plattform für parteipolitische Ideen zu missbrauchen: «Sie wollen das Bundesgericht schwächen und nicht etwa fremde Richter ausschliessen.» Für Beat Vonlanthen (CVP/FR) verhindert der «kategorische Schematismus der Initiative» pragmatische Lösungen bei Konflikten: «Völker- und Landesrecht müssen immer wieder sorgfältig aneinander angepasst werden.»
Daniel Jositsch (SP/ZH) brach eine Lanze für das internationale Recht: «Stellen Sie sich vor, was los wäre, wenn der amerikanische Präsident keine internationalen Fesseln hätte.» Die Schweiz verdanke ihre Neutralität dem Wiener Kongress, also internationalen Verträgen: «Das Völkerrecht hilft den Kleinen und bindet das Recht des Stärkeren zurück.» Paul Rechsteiner (SP/SG) schliesslich warf der SVP vor, in ihrem «Hurra-Patriotismus» die Grundfesten der Schweizer Demokratie und Verfassung anzugreifen.
Wir haben im Einzelfall schon jetzt die Möglichkeit, dem Landesrecht den Vorzug zu geben.
Das sagt der Bundesrat: Justizministerin Simonetta Sommaruga verwahrte sich dagegen, die Einhaltung des Völkerrechts als «Unterwerfung» zu diskreditieren und zum «Krieg gegen Unterdrücker» aufzurufen: «Jeder einzelne dieser Verträge wurde nach unseren eigenen demokratischen Regeln abgeschlossen.»
Das Völkerrecht falle nicht vom Himmel, sondern werde autonom von der Schweiz gehandhabt. Beim Freihandel mit Europa, dem EWR- oder UNO-Beitritt hätten auch Volk und Stände mitbestimmen dürfen. Dass es keinen Normenkonflikt zwischen Landes- und Völkerrecht gebe, habe der Bundesrat nie behauptet, so Sommaruga.
Aber: «Wir haben im Einzelfall schon jetzt die Möglichkeit, dem Landesrecht den Vorzug zu geben – wenn das Parlament das im Gesetz deutlich zum Ausdruck gebracht hat.» Die Initiative verspreche mehr Selbstbestimmung, bewirke aber das Gegenteil: «Sie ist widersprüchlich, presst die Schweiz in ein Schema und engt uns ein.»