Eveline Widmer-Schlumpf, alt Bundesrätin und Präsidentin von Pro Senectute, erlebt das Verhältnis zwischen den Generationen als sehr positiv. Die Pandemie habe auch das Bewusstsein geweckt, dass man füreinander schauen und einander verstehen sollte.
SRF News: Die Schweiz steckt wieder im Shutdown. Viele Menschen haben jetzt schon genug. Wie coronamüde sind Sie?
Eveline Widmer-Schlumpf: Auch ich bin coronamüde. Vor allem deshalb, weil ich gerne mal wieder eine kulturelle Veranstaltung besuchen würde. Und, weil ich Mitleid habe mit allen Kulturschaffenden. Das gesellschaftliche Leben vermisse ich durchaus.
Ich erlebe das Verhältnis zwischen Jung und Alt als sehr positiv.
Als Präsidentin von Pro Senectute haben sie einen direkten Draht zur älteren Bevölkerung. Wie geht es ihr in dieser zweiten Welle?
Ein grosser Teil der älteren Bevölkerung macht das hervorragend und nimmt das auch relativ gelassen. Aber vor allem Alleinstehenden bereitet das Alleinsein zunehmend Sorge und auch Angst. Ihnen fehlt das Bier im Restaurant oder der Schwatz im Café besonders. Deren Einsamkeit versuchen wir von Pro Senectute zu lindern, indem wir diese Menschen anrufen oder sie treffen.
Die Pandemie ist ein Stresstest für alle, auch für die Beziehungen unter den Generationen. Überspitzt gesagt: Die Jungen müssen sich einschränken, um die Älteren zu schützen. Verstehen Sie, dass das bei manchen jüngeren Leuten zu Unverständnis und Missstimmungen führen kann?
Ich bin erstaunt und positiv überrascht, wie viel Verständnis die Jungen haben, wie sie die aktuelle Situation akzeptieren. Auch die Älteren berichten, wie sie von Jüngeren unterstützt werden, die für sie einkaufen oder fragen, ob sie etwas helfen können. Ich erlebe das Verhältnis zwischen Jung und Alt als sehr positiv. Die Pandemie hat auch etwas geweckt in uns allen: Das Bewusstsein, dass man füreinander schauen und einander verstehen sollte.
Die Jüngeren werden diese Krise finanziell ausbaden müssen, ihre Renten werden darunter leiden, während viele Ältere finanziell auf Rosen gebettet sind. Wäre es nicht auch wichtig, dass sich jetzt auch Seniorinnen und Senioren solidarisch zeigen?
Viele Seniorinnen und Senioren zeigen sich bereits jetzt solidarisch. Viele helfen der jüngeren Generation stark, etwa finanziell, oder indem sie die Enkelkinder betreuen. Damit die Jüngeren einem Beruf nachgehen können. Viele sind auch in der Freiwilligen-Arbeit aktiv. Helfen noch älteren Menschen, damit diese zuhause bleiben können. Das sind viele Stunden pro Woche. Wenn man das wirtschaftlich umrechnen würde, wären das riesige Beträge.
Ich würde es begrüssen, wenn das Pflegepersonal in Altersheimen getestet wird.
Nun gibts offenbar Bemühungen, und auch Bundesrat Berset hat signalisiert, dass man mehr und breiter testen soll, gerade auch in Altersheimen. Befürworten Sie das?
Die Erfahrung zeigt, dass breiteres Testen sehr wirksam sein kann. Weil man positive Fälle viel früher erkennt. Gerade beim mutierten Virus sind viele Tests bestimmt wichtig. Ich würde es auch begrüssen, wenn das Pflegepersonal in Altersheimen getestet wird.
Vielen schlägt die Pandemie inzwischen aufs Gemüt, sie leiden unter dem eingeschränkten Sozialleben oder dem fehlenden Sport. Was machen Sie, damit Sie gut durch diese Zeit kommen?
Zum Glück kann ich meine Enkel immer noch regelmässig sehen. Darüber bin ich froh. Ich besuche auch häufig spontan andere ältere Menschen, oder ich lade sie zu mir ein. Um eine Stunde zu plaudern, einen Kaffee zu trinken. Das tut denen gut, und mir auch.
Das Gespräch führte Andrea Vetsch.