Normalerweise streiten Krankenkassen, Ärzte und Patientenschützer über alles Erdenkliche – beim Thema Ärztestopp aber klingt es so: «Bisher hat der Ärztestopp nichts gebracht und es braucht neue Lösungen», sagt etwa Verena Nold, Direktorin des Krankenkassenverbands Santésuisse.
«Die FMH meint, das bringt nichts», sagt Jürg Schlup, Präsident der Ärztevereinigung FMH. Das findet auch Margrit Kessler, Präsidentin der Stiftung für Patientenschutz findet.
Kantone wenden Ärztestopp nicht an
Und die Zahlen scheinen ihnen Recht zu geben: Schon zwischen 2002 und 2012 durften die Kantone überall dort, wo es ihrer Meinung nach zu viele Ärzte gab, neue Arztpraxen verbieten. Trotzdem bekamen jedes Jahr zwischen 550 und 900 Ärzte die Erlaubnis, in der Schweiz eine Praxis zu eröffnen. Ein Drittel von ihnen wanderte aus dem Ausland ein.
Als der Stopp, der diesen Namen nicht verdient, 2012 auslief, meldeten sich sogar 2700 Mediziner mehr an – aus Angst, die Beschränkung werde wieder eingeführt. Inzwischen gibt es tatsächlich wieder einen Ärztestopp, und wieder scheint er nicht zu funktionieren: Genf zum Beispiel genehmigt nicht jede Arztpraxis, trotzdem haben sich dort letztes Jahr mehr Radiologen angemeldet als in Zürich, das grundsätzlich jeden qualifizierten Arzt eine Praxis eröffnen lässt.
Wenn man zu viele Ärzte hat, schaden sie den Patienten.
Das Problem dabei: «Wenn man zuviele Ärzte hat, schaden sie den Patienten», sagt Patientenschützerin Margrit Kessler. Denn alle Ärzte wollten Geld verdienen und deshalb bestehe die Gefahr, dass sie unnötige Behandlungen machten.
Wenigstens auf dem Land gebe es nicht zu viele Ärzte, fügt Krankenkassen-Chefin Verena Nold hinzu, aber: «In den Zentren in den grossen Städten stellt man fest, dass es immer mehr Spezialärzte gibt und dass am Schluss die Kosten immer mehr steigen.»
Bei Taten ist es vorbei mit Einigkeit
Die Kantone hätten es bisher nicht geschafft, dieses Treiben zu drosseln, für die Zukunft brauche es nun andere Rezepte. Spätestens bei der Frage, was denn jetzt zu tun ist, ist es allerdings vorbei mit der Einigkeit zwischen Krankenkassen, Ärzten und Patientenschützern.
Die Krankenkassen möchten höhere Hürden für die Eröffnung von Arztpraxen: «Dort wo es zu viele Ärzte gibt, könnte man nur noch die qualitativ besten zulassen», sagt Verena Nold.
Wer die besten sind, das dürften die Ärzte selbst entscheiden. Und nur noch ihre Rechnungen müssten die Krankenkassen bezahlen. Und wenn die Politik das nicht will? Dann könnte man neue Ärzte wenigstens schlechter bezahlen als alteingesessene, findet Nold.
Ärztevereinigung will gar keine Einschränkung
Ganz so weit will Patientenschützerin Margrit Kessler nicht gehen. Ihr würde es schon reichen, wenn die Kantone nicht nur Ärzte stoppen könnten, sondern auch Spitalambulatorien – Arztpraxen im Spital – verbieten dürften. Denn, sagt Kessler, verbiete man nur neue Arztpraxen, würden einfach noch mehr Mediziner ein Spitalambulatorium eröffnen.
Gar keine Einschränkungen für Arztpraxen hingegen wünscht sich – wen wundert's – Ärztepräsident Jürg Schlup: «Die Bevölkerung wächst. Der medizinische Fortschritt geht weiter. Man kann mehr leisten. Die Bevölkerung altert. Die Ärzte arbeiten heute nur noch 50 Stunden die Woche und nicht mehr 80, wie die ältere Generation.»
Arztpraxen wie Pilze aus dem Boden
Aus all diesen Gründen brauche es heute einfach mehr Mediziner als früher. Zudem, sagt Schlup, habe die überdurchschnittliche Zunahme der Arztpraxen immerhin nicht dazu geführt, dass die Kosten überdurchschnittlich in die Höhe geschnellt seien.
Alle diese Argumente dürften den Nationalrat heute Abend kalt lassen – ohne Beschränkungen würden Arztpraxen wie Pilze aus dem Boden schiessen, lautet der Tenor. Deshalb dürfte der Rat den Kantonen weiterhin erlauben, Arztpraxen zu verbieten – allerdings ist das Verbot kein besonders strenges. Denn wer als Mediziner mindestens drei Jahre lang an einem Schweizer Spital gearbeitet hat, der darf auf jeden Fall auch in Zukunft eine Praxis gründen. Mit dieser Regelung ist bereits absehbar: Es wird weiterhin viele neue Arztpraxen geben.