Wer heiratet, soll nicht steuerlich benachteiligt werden. Dies hat der Nationalrat am Mittwoch in vielfältigen Voten bekräftigt. Die Definition der Ehe als «auf Dauer angelegte und gesetzlich geregelte Lebensgemeinschaft von Mann und Frau» will die grosse Kammer aber nicht in die Verfassung schreiben.
Sie gibt deshalb einem direkten Gegenvorschlag zur CVP-Volksinitiative «Für Ehe und Familie – gegen die Heiratsstrafe» den Vorzug – mit 102 zu 86 Stimmen bei einer Enthaltung.
Der Nationalrat empfiehlt die Volksinitiative der CVP somit zur Ablehnung. Für das Begehren wurde die Behandlungsfrist bis zum 5. Mai 2016 verlängert. Die Vorlage geht jetzt an den Ständerat.
Gegenvorschlag mit brisanten Möglichkeiten
Der direkte Gegenvorschlag der vorberatenden Kommission will sich auf die Hauptanliegen der Initiative beschränken und postuliert: «Die Ehe darf gegenüber anderen Lebensformen nicht benachteiligt werden, namentlich nicht in den Bereichen Steuern und Sozialversicherungen.»
In der mehrstündigen Debatte mussten sich die Initianten harte Worte gefallen lassen: «Konservativ», «rückwärtsgewandt», «diskriminierend». Zwei jüngere Parlamentsmitglieder brachten die gegensätzlichen Pole prägnant auf den Punkt.
«Zivilstandunabhängige Besteuerung» heisst das Zauberwort für die Grünliberale Kathrin Bertschy (BE). Es dürfe nicht mehr von Geschlecht oder sexueller Orientierung abhängig sein, wer wie viel Steuern bezahle. Die CVP-Initiative führe dagegen nur eine «unsinnige Pflästerli-Politik» weiter. Nötig sei die umfassende Gleichstellung aller Lebensgemeinschaften: «Es darf keine Ehen zweiter Klasse mehr geben.»
«Jedes Kind versteht unter Ehe Mann und Frau»
Für eine Neudefinition des Ehebegriffs sei die heutige Debatte der falsche Ort, konterte Martin Candinas (CVP/GR). Das CVP-Begehren sei eine rein fiskalpolitische Massnahme, das die Probleme der Heiratsstrafe löse: «Die Ehepaare und die gleichgeschlechtlichen in eingetragenen Partnerschaften werden Ihnen dafür dankbar sein.»
Jedes Kind und jeder Richter verstehe die Ehe als Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau, doppelte der Bündner nach. Auch die Verneinung der Ehe als Wirtschaftsgemeinschaft sei nicht nachvollziehbar: «Wenigstens in der Ehe muss doch möglichst viel Gemeinschaft ermöglicht werden, auch in der Besteuerung», betonte Candinas und sagte jahrelange Beratungen über die Umsetzung des Gegenentwurfs voraus. Eine Individualbesteuerung wäre nach seinen Worten ein «bürokratisches Monster» und ohnehin zum Vergessen.
Widmer-Schlumpf: Keine Nachteile bei Sozialversicherungen
Viele Kantone hätten ihre Steuergesetzgebung inzwischen angepasst und betrachteten die Ehe als wirtschaftliche Gemeinschaft, stellte Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf fest. Bei der direkten Bundessteuer kämen aber noch rund 80'000 verheiratete Doppelverdiener- und Rentnerpaare schlechter weg als gleich situierte Konkubinatspaare.
Im Sozialversicherungsbereich bestehe aber tatsächlich kein Handlungsbedarf, sagte Widmer-Schlumpf weiter. Bei einer Gesamtbetrachtung ergebe sich für Ehepaare nämlich immer noch ein Plus von 800 Millionen Franken. Als Vorteile nannte sie die Witwenrente, den Zuschlag zur Witwenrente und die Rentenbildung mit dem Splitting.
Bundesrat für pragmatische Lösung
Der Gegenentwurf wäre nach ihren Worten sinnvoll gewesen, wenn er klar die Rahmenbedingungen für die künftige Besteuerung festgelegt und so die Pattsituation überwunden hätte. Aus pragmatischen Gründen habe sich der Bundesrat entschlossen, die Initiative der CVP zur Annahme zu empfehlen, um die jahrelange Blockierung zu lösen. Über alle die anderen Aspekte könne selbstverständlich auch noch danach diskutiert werden.