Heute bekommt jemand ab einem Invaliditätsgrad von 70 Prozent eine volle IV-Rente. Das will der Ständerat bei der IV-Revision ändern. Eine volle Rente soll nur noch erhalten, wer zu mindestens 80 Prozent invalid ist.
Der Ständerat hält damit an seinem früheren Beschluss fest. Er hat sich mit 25 zu 19 Stimmen dafür ausgesprochen. Im Nationalrat hatte sich zuvor die Linke durchgesetzt und beschlossen, in diesem Punkt bei der heutigen Regelung zu bleiben. Im Ständerat setzte sich nun die Rechte durch.
«IV-Bezüger sollen reintegriert werden»
Wer zu 70 Prozent invalid sei, habe eine Resterwerbsfähigkeit von 30 Prozent, argumentierte Alex Kuprecht (SVP/SZ). Zudem gehe es ja darum, möglichst viele IV-Bezügerinnen und -Bezüger in den Arbeitsprozess zu reintegrieren.
Christine Egerszegi (FDP/AG) sagte, die Betroffenen erhielten bei Bedarf Ergänzungsleistungen. Die Massnahme sei deshalb zu verantworten. Unterstützung bekamen sie auch von SP-Bundesrat und Sozialminister Alain Berset. Er stand ebenfalls für eine Verschärfung der Regel ein.
«Verlierer sind die Behinderten»
Die Gegner wiesen vergeblich darauf hin, dass es um Menschen mit schwerer Behinderung gehe. Pascale Bruderer (SP/AG) sagte, auch sie finde es wichtig, auf das Potenzial der Menschen zu achten und nicht auf deren Einschränkungen. Doch Menschen mit schweren Behinderungen hätten es ungeheuer schwer, eine Stelle zu finden. Deshalb sei es zynisch von Reintegration in den Arbeitsmarkt zu sprechen. Im übrigen könne so eine Entlastung für die IV zu einer Belastung von Gemeinden und Kantonen führen.
Hannes Germann (SVP/SH) pflichtete Bruderer bei. Seine Haltung möge überraschen, doch diese Massnahme überzeuge ihn nicht. 40 Prozent der IV-Bezüger seien bereits heute auf Ergänzungsleistungen angewiesen. «Es ist also ein Nullsummenspiel. Gewonnen haben wir damit nichts. Die Verlierer sind die Behinderten.»
Ja zu Schuldenbremse
Auch in anderen Punkten blieb der Ständerat bei seinen früheren Entscheiden. Das neue, stufenlose Rentensystem soll nur für neue Renten gelten. Der Nationalrat möchte hier weiter gehen und das neue System auch für die laufenden Renten einführen.
Weiter will der Ständerat an der Schuldenbremse für die IV festhalten. Vorgesehen ist ein Automatismus: Sinken die Mittel unter eine bestimmte Grenze, müsste der Bundesrat den Beitragssatz erhöhen und die Anpassung der Renten an die Teuerung sistieren.
Im Nationalrat hatte sich dafür keine Mehrheit gefunden. Die Rechte stellte sich gegen die Erhöhung der Lohnbeiträge, die Linke gegen Rentensenkungen. Im Ständerat bekämpft nur die Linke den geplanten Automatismus. Gerate die IV in Schieflage, sei es am Gesetzgeber, Massnahmen zu beschliessen, befand Paul Rechsteiner (SP/SG). Ein Automatismus wäre ein Novum im Sozialversicherungssystem.
Keine Kürzung der Kinderrenten
Geeinigt haben sich National- und Ständerat in einem Punkt: Die Renten für Kinder von IV-Bezügerinnen und -Bezügern werden vorläufig nicht gekürzt. Die Räte haben die umstrittene Massnahme aus dem zweiten Teil der 6. IV-Revision ausgeklammert.
Der Ständerat sprach sich mit 28 zu 14 Stimmen für das Splitting aus. Damit wird die Kürzung der Kinderrenten sowie der Reisekostenbeiträge in eine separate Vorlage ausgelagert. Allerdings: Sollten bei der IV weitere Sparmassnahmen nötig sein, könnte das Parlament jederzeit auf die Kinderrenten-Kürzungen zurückkommen.
«Vorlage wird zerzaust»
Der Bundesrat hatte sich mit diesem Vorgehen einverstanden erklärt. Nach seiner Einschätzung erlaubt es die finanzielle Situation der IV, vorläufig auf die Kürzung der Kinderrenten zu verzichten. Mit dem Splitting verschiebt sich die Sanierung der IV laut Sozialminister Alain Berset um rund zwei Jahre.
Die Gegner des Splittings zogen die neuen Zahlen in Zweifel. «Der politische Alzheimer muss wohl hier Einzug gehalten haben», sagte Alex Kuprecht (SVP/SZ). Er fügte an, die Räte seien dabei, die Vorlage zu zerzausen – dies widerspreche dem, was man dem Volk versprochen habe.
Bundesrat Alain Berset widersprach: Wenn eine Situation sich ändere, müsse dem Rechnung getragen werden, und die Situation habe sich geändert. 2012 habe es 50 Prozent weniger Neurentner gegeben als 2003, so der Sozialminister.