Am letzten Tag der grossen Debatte zur «Altersvorsorge 2020» musste der Nationalrat klären, wie viel AHV-Beiträge Selbstständigerwerbende zahlen müssen. Die Grosse Kammer beschloss, sie zu schonen.
Heute zahlen Selbstständigerwerbende 7,8 Lohnprozente in die AHV ein. Das ist etwas weniger als der Beitrag, den Arbeitnehmer und Arbeitgeber gemeinsam bezahlen. Der Bundesrat hatte vorgeschlagen, das Privileg aufzuheben und den Beitragssatz auf 8,4 Prozent anzuheben. Der Nationalrat entschied sich dagegen.
Die grössten Pflöcke zur Altersreform hatte der Nationalrat bereits in der Marathon-Debatte vom Mittwoch eingeschlagen.
Die wichtigsten Entscheide:
- Der Nationalrat erhöht das Rentenalter für Frauen auf 65. Die Grosse Kammer folgt damit dem Ständerat, und die Erhöhung wird Teil des Reformpakets.
- Eine Stabilisierungsregel für die AHV soll in der Verfassung verankert werden. Sobald der Ausgleichsfonds unter 100 Prozent einer Jahresausgabe sinkt, muss der Bundesrat dem Parlament Korrekturmassnahmen vorschlagen. Fällt der Fonds-Stand trotzdem unter 80 Prozent, wird das Rentenalter auf 67 Jahre erhöht, und die Mehrwertsteuer wird um 0,4 Prozent angehoben.
- Frauen über 45 sollen keinen automatischen Anspruch mehr auf Witwenrenten haben.
- Zur Finanzierung der AHV will der Nationalrat die Mehrwertsteuer in zwei Schritten um 0,6 Prozent erhöhen. Der Ständerat hat sich für zusätzlich 1 Mehrwertsteuerprozent ausgesprochen, der Bundesrat wollte 1,5 Prozent mehr.
- Der Mindestumwandlungssatz in der beruflichen Vorsorge wird von 6,8 Prozent auf 6 Prozent gesenkt. Darüber sind sich die Räte einig. Die Renten vermindern sich dadurch um 12 Prozent.
- Der Nationalrat lehnt den vom Ständerat beschlossenen monatlichen Zuschlag von 70 Franken auf neue AHV-Einzelrenten ab. Auch die Anhebung des Plafonds für Ehepaar-Renten von 150 auf 155 Prozent fand keine Mehrheit.
Insgesamt wich die Grosse Kammer weit vom Kurs des Ständerates ab, der viele seiner Entscheide mit Blick auf eine Volksabstimmung gefällt hatte. Für die Mehrheit im Nationalrat sorgten jeweils FDP und SVP. Die beiden Fraktionen hielten nichts davon, die Gunst des Volkes mit Geschenken zu erkaufen.
Sie verhalfen der Reform auch in der Gesamtabstimmung zum Durchbruch. Diese fiel mit 106 zu 55 Stimmen bei 35 Enthaltungen aus. Der Stimme enthalten hatten sich die CVP-Vertreter. Sie hatten sich in den wichtigsten Fragen jeweils in der Minderheit gefunden.
Ratslinke spricht von «Massaker»
Gegen die Reform stimmten SP und Grüne. SP-Sprecherin Silvia Schenker (BS) sprach von einem «Massaker»: Verloren hätten die Frauen, die Jungen und die Werktätigen, die künftig bis 67 Jahren arbeiten müssten. Die Solidarität in der Altersvorsorge werde mit dieser Vorlage geopfert.
Auch Bundesrat Alain Berset hatte Vorbehalte. Die Lösung des Nationalrats sei nicht mehrheitsfähig. «Es braucht noch Arbeit», sagte er im Hinblick auf die weiteren Beratungen. Die Vorlage geht nun zurück an den Ständerat.
Dieser muss auch über eine Motion der Nationalratskommission entscheiden. Sie will Mindestumwandlungssatz und Mindestzinssatz der beruflichen Vorsorge «entpolitisieren». Eine technische Formel hätte zur Folge, dass Rentensenkungen dem Referendum entzogen wären. Der Nationalrat stimmte dem mit 138 zu 56 Stimmen zu.