Simonetta Sommaruga stehen ereignisreiche zwölf Monate bevor. Sie muss die Umsetzung der Zuwanderungsinitiative und ihre repräsentativen Auftritte als Bundespräsidentin unter einen Hut bringen.
Das Ja zur Masseneinwanderungsinitiative war Sommarugas bislang grösste Niederlage. Sie hatte engagiert gekämpft. Sie hatte versucht, die negativen Folgen des Wachstums offen anzusprechen und den Initianten so den Wind aus den Segeln zu nehmen. Es gelang ihr aber nicht, das Volk davon zu überzeugen, dass die Probleme anders gelöst werden sollten.
Im Clinch mit dem Volk
Volksinitiativen, die im Widerspruch zu internationalen Verträgen oder rechtsstaatlichen Prinzipien stehen, beschäftigen Sommaruga, seit sie Bundesrätin ist. Unmittelbar nach Amtsantritt musste sie den Abstimmungskampf zur Ausschaffungsinitiative führen. Sie verlor ihn ebenso wie jenen zur Pädophileninitiative, deren Annahme sie mit Gesetzesänderungen abzuwenden versuchte.
Sommaruga wirkt dennoch nie entmutigt. Sie zeigt sich nach Niederlagen zuversichtlich, Lösungen zu finden, die dem Volkswillen und dem Rechtsstaat gerecht werden. Dass sie je aus der Rolle fiele oder die Nerven verlöre, scheint undenkbar. Auch nach dem Ja zur Masseneinwanderungsinitiative blieb sie sachlich und gelassen.
Ob bei öffentlichen Auftritten, im Parlament oder im informellen Gespräch: Die Magistratin wirkt in jeder Situation kontrolliert. Ihre Formulierungen sind wohlerwogen, jedes Wort ist mit Bedacht gewählt. Ihre Disziplin hat Sommaruga den Ruf der kühlen, trockenen und ein wenig verkrampften Perfektionistin eingebracht. Im politischen Alltag hilft es ihr.
Ambitionierte Asylreform
Mehr als nur kleine Schritte plant Sommaruga in der Asylpolitik. Sie war erst ein halbes Jahr im Amt, als sie ankündigte, die Asylverfahren drastisch verkürzen zu wollen. Die Absicht hatten vor ihr schon andere geäussert. Sommaruga aber liess es nicht mit der Ankündigung bewenden.
Vor kurzem hat der Bundesrat die grosse Asylreform zuhanden des Parlaments verabschiedet – eine Reform, an deren Gelingen Sommarugas Erfolg wohl dereinst gemessen wird. Die wichtigsten Akteure wurden auch hier eingebunden, die Kantone und Gemeinden zeigten sich mit dem Konzept einverstanden. Ob sie am Ende Hand bieten für neue Asylzentren, wird sich zeigen.
Unfreiwillig im wichtigen Departement
Die Verantwortung für die Asylpolitik übernahm Sommaruga in einer turbulenten Zeit. Mit dem Arabischen Frühling kam eine Flüchtlingswelle auf Europa zu. Rasch stiessen die Kantone an ihre Kapazitätsgrenzen - und kritisierten umgehend die Justizministerin, im Einklang mit Politikern von rechtsbürgerlicher Seite. Im Bundesamt für Migration herrschte nach missratenen Reorganisationen Verunsicherung.
Die SP-Bundesrätin hatte sich das heikle Asyldossier nicht ausgesucht, sie musste das Justiz- und Polizeidepartement gegen ihren Willen übernehmen. Nach 100 Tagen im Amt beteuerte sie jedoch, dass sie damit kein Problem habe: Das EJPD sei tatsächlich ein B-Departement, nämlich ein bedeutendes Departement. Spätestens seit dem Ja zur Zuwanderungsinitiative zweifelt daran niemand mehr.