Der grossen Kammer lagen am ersten Nachmittag der Herbstsession zwei Vorlagen zur Weiterentwicklung des Schengen-Rechts vor. Diese seien Teil eines Pakets zur Stärkung des gesamten Schengen-Systems, sagte Walter Müller (FDP/SG) im Namen der vorberatenden Kommission.
Auslöser für die neue Regelung zu den Grenzkontrollen war der Arabische Frühling. Einzelne Staaten hatten damals ihre Binnengrenzen wieder systematisch kontrolliert, was zu Auseinandersetzungen führte. In der Folge legten die Schengen-Staaten Spielregeln für solche Massnahmen fest.
Personenkontrollen länger möglich
Bisher konnten bei schwerwiegenden Bedrohungen der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit während höchstens 30 Tagen Personenkontrollen an den Binnengrenzen durchgeführt werden. Neu ist dies während sechs Monaten möglich.
Liegen aussergewöhnliche Umstände vor, dürfen während bis zu zwei Jahren Grenzkontrollen durchgeführt werden. Die Länder können selbst entscheiden, ob und wie lange sie an den eigenen Grenzen Kontrollen durchführen wollen, doch muss die Massnahme im Verhältnis zur Bedrohung stehen. Der Nationalrat hiess diese Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstandes sowie Änderungen im Asyl- und Ausländerrechts mit grosser Mehrheit gut.
SVP: Verschlechterung seit Schengen
Die zweite Vorlage, über die der Nationalrat befinden muss, betrifft die neuen EU-Regeln zur Überprüfung der Anwendung von Schengen-Recht in den Mitgliedstaaten. Dadurch kann die Anwendung des Schengen-Rechts durch die Mitgliedstaaten besser überprüft und Mängel effizienter behoben werden.
Gleichzeitig sieht die Gesetzesvorlage kleine Anpassungen im Ausländer- und im Asylgesetz vor, die eine Verbindung mit Schengen aufweisen. Es wird unter anderem möglich, Asylsuchende mit einem abgeschlossenen Verfahren in einem Dublin-Staat und mit einem rechtskräftigen Wegweisungsentscheid in ihren Herkunfts- oder Heimatstaat wegzuweisen. Damit würde einer systematischen Überstellung in einen Dublin-Staat nicht immer Vorrang gegeben.
Dagegen stellte sich die SVP-Fraktion. Der Evaluierungsmechanismus sei viel zu kompliziert und bringe keine Verbesserung der heutigen Situation, sagte Fraktionssprecher Roger Golay (MCG/GE). Ohnehin habe Schengen keine Verbesserung, sondern eine Verschlechterung gebracht. Die Kriminalität sei gestiegen.
Sommaruga versteht SVP-Argumente nicht
Nein stimmte auch ein Teil der Grünen, ein weiterer Teil enthielt sich der Stimme. Wie die SVP hegen die Grünen grundsätzliche Bedenken gegenüber Schengen, wenn auch aus anderen Gründen. Sie lehnen die Idee der «Festung Europa» ab, für die Schengen aus ihrer Sicht steht.
Die anderen Fraktionen begrüssten die Neuerungen, der Rat hiess sie mit 125 zu 55 Stimmen bei 13 Enthaltungen gut. Das Ziel sei es, bei Problemen besser und effizienter eingreifen zu können, betonte Hugues Hiltpold (FDP/GE). Dagegen sei nichts einzuwenden.
Justizministerin Simonetta Sommaruga zeigte sich überrascht vom Widerstand der SVP. Es gehe um die Stärkung der Inneren Sicherheit, auch jener der Schweiz, betonte sie. Die Schweiz habe das «allergrösste Interesse» daran, dass der Evaluierungsmechanismus verbessert werde.
Zur Grundsatzkritik an den offenen Grenzen im Schengen-System stellte Sommaruga fest, dass auch vor Schengen an den Schweizer Grenzen keine systematischen Grenzkontrollen stattgefunden hätten. Wer das Gegenteil behaupte, verbreite ein Märchen. Lediglich fünf Prozent seien kontrolliert worden. Kriminalität müsse im Übrigen grenzüberschreitend bekämpft werden, und genau dies erlaube Schengen.