Die Warteliste für ein Organ ist in der Schweiz so lang wie nie zuvor. Aktuell warten 1254 Menschen in der Schweiz auf eine lebensrettende Organspende.
130 Todesfälle in diesem Jahr
Auf eine Million Einwohner kommen in der Schweiz 13 Spender. Damit steht sie im europäischen Vergleich schlecht da: In Frankreich etwa sind es doppelt so viele, in Spanien gar dreimal so viele Spender.
Franz Immer von der Nationalen Stiftung für Organspende und Transplantation Swisstransplant spricht von rund 130 Todesfällen seit Anfang Jahr aufgrund des Organmangels. 66 davon standen auf einer Warteliste.
Daran muss sich etwas ändern, sagen sich Parlamentarier um Laurent Favre (FDP). In einer Motion fordern sie den Wechsel zur Widerspruchslösung. Wer sich zu Lebzeiten nicht explizit in ein Register eingetragen hat, würde nach dem Tod automatisch zum Organspender. 23 von 30 Ländern in Europa kennen eine «Widerspruchslösung soft», das heisst, dass in jedem Fall noch ein Gespräch mit den Angehörigen stattfindet.
Keine Belastung der Angehörigen
Österreich hat die Widerspruchslösung vor 21 Jahren eingeführt – und seither gute Erfahrungen gemacht, sagt Ferdinand Mühlbacher, Leiter der Universitätsklinik für Chirurgie in Wien.
Vorteile bringe diese Lösung vor allem im Umgang mit den Angehörigen. «Angehörige, die mit der Trauerarbeit ohnehin schon belastet sind, müssen sich in dieser Phase nicht zusätzlich eine stellvertretende Entscheidung für den Verstorbenen treffen», sagt Mühlbacher. Bei der Kommunikation mit den Angehörigen sei das medizinische Personal in einer wesentlich besseren Gesprächsposition. «Die Widerspruchslösung bringt uns Rechtssicherheit.»
Dass die Widerspruchslösung alleine für die hohen Spenderzahlen in Österreich verantwortlich ist, glaubt Mühlbacher indes nicht. Entscheidend sei gewesen, dass man in den Achtzigerjahren zahlreiche Spitäler stärker involviert habe.
Knapp ein Fünftel mit Organspender-Ausweis
Die Schweiz kennt ein anderes System: die Zuspruchslösung. Der Anteil der Bevölkerung mit einem Organspendeausweis wird auf 15 bis 20 Prozent geschätzt. Swisstransplant schätzt zudem, dass sich jeweils die Hälfte der der Verstorbenen zeitlebens nie mit der Frage beschäftigt hat.
Ein Problem, findet Renato Lehnherr, Oberarzt am Universitätsspital Zürich. Er ist überzeugt, dass die Widerspruchslösung zusammen mit anderen Massnahmen zu einem Anstieg der Spenderzahlen führen würde.
Swisstransplant schätzt, dass mit der Widerspruchslösung die Spenderzahl auf 25 pro Million Einwohner steigen würde, wenn gleichzeitig auch laufende Massnahmen wie etwa der Aktionsplan des Bundesrates weitergeführt würden.
«Eingriff ins Selbstbestimmungsrecht»
Gegen die Widerspruchslösung sprechen vor allem ethische Bedenken. Für Barbara Züst vom Patientenschutz wäre die Widerspruchslösung weder zeitgemäss noch sachgerecht: «Sie bedeutet einen klaren Eingriff ins Selbstbestimmungsrecht der Patienten. Und es hat sich gezeigt, dass sie nicht direkt zu einer Erhöhung des Spenderaufkommens führt.»
Ethisch fragwürdig und wenig wirksam findet sie auch der Bundesrat, der sich dabei auf die Nationale Ethikkommission stützt. Wichtiger sei die Sensibilisierung der Bevölkerung und des Spitalpersonals, sowie eine verbesserte Koordination in und zwischen den Spitälern.
Obschon der Bundesrat die Widerspruchslösung ablehnt, hat der Nationalrat die Widerspruchslösung im Herbst mit 102 zu 62 Stimmen angenommen. Nun kommt das Geschäft in den Ständerat. Die vorbereitende Kommission hat sich gegen die Widerspruchslösung ausgesprochen.
(buev)