«Die Sonne brannte so (...) Die Luft war flirrend heiss (...) Da sagte ich den andern, ‚ich hab' heut keine Zeit’ (...) und es war Sommer!», sang Schlagerbarde Peter Maffay vor 40 Jahren. «Blanker Hohn!», mag sich manch Parlamentarier auf seinem morgendlichen Weg ins Bundeshaus gedacht haben. Wenigstens diente der stete Wechsel von Sprüh-, Stark- und Nieselregen als natürlicher Wecker.
- Weichenstellungen abseits des Gotthards
Und was die Räte unter der Bundeshauskuppel erwartete, hatte es in sich. Mit der Unternehmenssteuerreform III verabschiedeten sie eines der wichtigsten Geschäfte seit den Bilateralen. Das Feilschen zwischen National- und Ständerat war zermürbend, das Dossier in seiner Komplexität kaum zu überblicken: Feinste Justierungen an einzelnen Stellschrauben können die Massenauswanderung ganzer Branchen befördern – Steuereinnahmen in Milliardenhöhe und abertausende Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel.
Kein Wunder, zehrte die Vorlage an den Kräften der Parlamentarier. Ständerat Ivo Bischofberger (CVP/AI) zitierte Franz Kafkas «Kleine Fabel» – ein dunkles, schicksalsschweres Stück: «Ach», sagte die Maus, «die Welt wird enger mit jedem Tag (...) Diese langen Mauern eilen so schnell aufeinander zu, dass ich schon im letzten Zimmer bin, und dort im Winkel steht die Falle, in die ich laufe.» – «Du musst nur die Laufrichtung ändern», sagte die Katze und frass sie. Auch Karin Keller-Sutter (FDP/SG) versank in den Untiefen des Dossiers – und malträtierte ihren Mann mit der «zinsbereinigten Gewinnsteuer».
Die USR3 wird sich wohl vor dem Volk bewähren müssen. Die SP hat das Referendum gegen das «Steuerabzugsfestival der Bürgerlichen» angekündigt. Daneben brachten die Räte zwei andere Mammutvorlagen entscheidend voran: Die Energiestrategie 2050 biegt als Subventionstopf für die kriselnde Energiebranche auf die Zielgerade. Atomausstieg war gestern.
Beim Nationalstrassen- und Agglomerationsfonds traten die Bürgerlichen aufs Gaspedal: Die Autofahrer werden nach Ansicht der Ratslinken mit einer «halben Milchkuh» beglückt – trotz Erhöhung des Benzinpreises von 4 Rappen pro Liter. Quasi im Vorbeifahren kreierten die Räte das inoffizielle Quiz zum Strassenfonds – hätten Sie’s gewusst? (Siehe Video).
- Die Europafrage
Das «Kroatien-Protokoll» ist zwar nicht der neue Bestseller von John Grisham. Trotzdem wuchs sich das Geschäft zu einem wahren Polit-Krimi aus. Nach dreiwöchigen Kammerspielen brauchte es eine Einigungskonferenz. Das Resultat: Der Bundesrat darf die Personenfreizügigkeit erst auf Kroatien ausweiten, wenn eine Lösung mit der EU in der Zuwanderungsfrage vorliegt. Verhandlungstaktische Finten ausgeschlossen.
Zum Showdown zwischen Bern und Brüssel kommt es nach der «Brexit»-Abstimmung am 23. Juni. In der belgischen Metropole wird allerdings demnächst etwas spezielle Post vom Bundesrat eintreffen: Die Schweiz zieht ihr vor 24 Jahren eingereichtes Beitrittsgesuch zur EU formell zurück. Der symbolische Akt dürfte das Gesprächsklima jedoch kaum beeinflussen; die fromme Hoffnung bleibt, dass die Schweizer Präzisionsarbeit am Gotthard etwas Goodwill geschaffen hat
- Mal liberal, mal föderal
Dass der Ständerat anders tickt als der Nationalrat, zeigte sich auch in dieser Session exemplarisch. Spielte der bürgerliche Schulterschluss für längere Ladenöffnungszeiten im Nationalrat noch, gab es im Ständerat einen föderalen Rückzieher: Wie lange die Geschäfte abends und am Wochenende offen bleiben, soll Sache der Kantone bleiben. Das Thema ist damit vom Tisch.
Erfolgreichere Lobby-Arbeit als der Detailhandel leistete die Tabakindustrie. Die Schweiz gilt als Paradies der mächtigen Multis. Das klare Veto des Ständerats zu einem weitgehenden Werbeverbot für Zigaretten nährt den Verdacht, dass sie auch in der Wandelhalle bestens vernetzt sind. Diverse Räte wehrten sich jedoch auch gegen staatliche Bevormundung. Fest steht: Die Entscheidungsschlacht zwischen Gesundheitsaposteln und Marlboro-Männern ist vorerst vertagt.
- Spiel mir das Lied vom Tod
Anfang Juni machten Wiener Forscher das Ergebnis ihrer Feldstudien publik: Elefantenbullen sagen nur, was wirklich wichtig ist: Reife, Grösse, Alter. Das war’s. Glaubt man der Motion «Wehret der Vorstossflut» von Fabio Abate (FDP), trifft das nur bedingt auf Parlamentarier zu: «Die Zahl völlig unbedeutender Vorstösse ist in den letzten Jahren exponentiell gestiegen», klagte der Tessiner Ständerat. Seine Motion wurde klar abgewiesen. Das gleiche Schicksal ereilte Toni Brunner (SVP). Der St. Galler Nationalrat wollte Soldaten Frischmilch statt Pulvermilch verordnen. Denn letztere «verdirbt einem den Tag.»
Trauriges gab es zum Ende der Session zu vermelden: Der Höckerschwan kann künftig geschossen werden, «bevor sich Konflikte abzeichnen». Zum Verhängnis wurde dem Entenvogel aggressives und unreinliches Verhalten am Seeufer. Thomas Minder (parteilos/SH) brach vergebens eine Lanze für den «Schwan mit seinem majestätischen Auftreten.» Engagiert war das Plädoyer des Vaters der «Abzocker-Initiative» aber trotzdem.