In der Alten Kirche in Flüelen stehen acht Schneiderpuppen. Im ehemaligen Kirchenraum finden heute kulturelle Anlässe statt. Gebetet wird hier nicht mehr.
Die Gewänder, welche die Schneiderpuppen tragen, haben aber trotzdem mit der Kirche zu tun. Es sind Paramente – also Priestergewänder für den Gottesdienst –, welche die Urner Künstlerin Erna Schillig entworfen hat.
Die Gewänder sind sehr reduziert gestaltet. «Das ist typisch für Erna Schillig», sagt Felix Schenker. Seit 20 Jahren betreibt der Kulturjournalist die Plattform «ArtTV». Schenker hat eine Mission: Er will die in Vergessenheit geratene Urner Künstlerin wieder bekannter machen.
Ich war regelrecht geflasht.
Aufmerksam geworden auf sie ist Schenker durch ihre Landschaftsbilder. «Ich war regelrecht geflasht von diesen Arbeiten.» Die Bilder der Bergwelt des Urner Schächentals zeigten eine Abstraktion, welche andere Künstlerinnen und Künstler zu dieser Zeit noch lange nicht in ihre Werke einfliessen liessen.
Drei Jahre lang – von 1927 bis 1930 – geht Erna Schillig beim deutschen Maler August Babberger zur Schule, an der Badischen Landeskunstschule Karlsruhe, wo sie die Fachklasse für dekorative Malerei und Wandmalerei besucht.
Sie wird zwar zu seiner Meisterschülerin, steht trotzdem lange im Schatten. Das sei typisch für Künstlerinnen aus dieser Generation, sagt Felix Schenker: «Obwohl sie gleich gut oder sogar besser waren als die Lehrmeister, schafften es die Werke lange nicht in die Ausstellungen und Museen.»
Das zeigt sich exemplarisch auch am sogenannten «Urner Kreis». Zwischen den Weltkriegen arbeiteten auf dem Klausenpass Intellektuelle und Künstler zusammen: der Maler Augusto Giacometti, der Künstler Heinrich Danioth oder Albert Jütz, der Komponist des Liedes «Zoogä-n-am Boogä». Erna Schillig gehörte auch zu diesem illustren Kreis, ist aber im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen heute kaum mehr bekannt.
Das vielfältige Schaffen von Erna Schillig
Die Natur und insbesondere die Bergbäche kommen in den Werken von Erna Schillig immer wieder vor. Die Heimat spielt eine grosse Rolle – sie zeigt in ihren Arbeiten Brauchtum, wie etwa das Fahnenschwingen.
Auch wenn Erna Schillig keine grossen Erfolge mit ihren Werken feiern kann, fällt ihr Talent den Zeitgenossen auf. 1947 wird sie an die Kunstgewerbeschule Luzern berufen als erste Leiterin der neuen Textilabteilung.
Unter Erna Schillig wird die Schule zu einem Zentrum für die Schweizer Paramentik. 1960 erhält sie den Professorinnentitel und sitzt in der eidgenössischen Kunstkommission, die den Bundesrat berät.
Buchprojekt soll Schillig bekannter machen
Bis zu ihrem Tod im Jahr 1999 lebt sie zurückgezogen in Altdorf. Sie stellt ihre Werke nur selten aus und wird als bescheiden beschrieben. Auch deshalb ist ihr Schaffen bis jetzt wenig bekannt. Das wollen Felix Schenker und seine Mitstreiterinnen ändern.
Im Sommer 2023 organisierte das Haus für Kunst in Altdorf die Ausstellung «Erna Schillig und ihre Musen». Die Ausstellung «Verwoben» in der Alten Kirche Flüelen ist nun ein weiterer Schritt in diese Richtung.
Das Projekt «ernaschillig.ch» möchte dem interessierten Publikum die Künstlerin näherbringen. Zudem ist ein Buch geplant. Das Ziel von Felix Schenker und seinem Team ist klar: Die Urner Künstlerin soll national und international mehr Beachtung finden.