Die Masern geraten auch in der Schweiz in die Schlagzeilen. Denn die Zahl der Infizierten ist stark gestiegen. Laut dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) erkrankten im ersten Drittel dieses Jahres bereits 155 Personen an den Masern. Das sind siebenmal mehr als in der Vorjahresperiode. Braucht es einen Impfzwang? Der Mediziner Adriano Aguzzi sagt ganz klar: Ja.
SRF News: Warum nehmen die Maserninfektionen in der Schweiz zu?
Vor zehn Jahren dachten wir, dass wir die Masern im Griff hätten und das Virus bald komplett ausgerottet wäre. Stattdessen sehen wir nun diesen massiven Anstieg an Erkrankungen. Der Grund dafür ist, dass die Leute heute ihre Gesundheitsinformationen aus dem Internet, aus den Sozialen Medien beziehen. Es werden die unsinnigsten «Fake News» verbreitet.
Wenn man Kinder schädigt, dann hört für mich das Verständnis auf.
Etwa, dass Impfstoffe gefährlich seien, was gar nicht stimmt. Das Ergebnis ist, dass sich immer weniger Leute impfen lassen. Nun sterben plötzlich wieder Kinder an Masern. Das ist schrecklich und unverantwortlich.
Es gibt Gesundheitspolitiker, zum Beispiel Ruth Humbel von der CVP, die finden, wer seine Kinder nicht impfe, handle asozial. Was sagen Sie dazu?
«Asozial» ist noch ein relativ milder Begriff. Wir leben in einer liberalen Gesellschaft. Wenn man sich selber mit Rauchen und Trinken schädigen will, dann darf das jeder. Aber wenn man Kinder schädigt, dann hört für mich das Verständnis auf. Da hört es auch mit der Liberalität auf.
Deutschland meldet seit Jahresbeginn 300 Neuansteckungen. Nun hat Gesundheitsminister Jens Spahn angekündigt, er wolle für Masern eine Impfpflicht einführen. Macht das für Sie aus medizinischer Sicht Sinn?
Auf jeden Fall. Es ist eine extreme Massnahme. Ich bin auch nicht für Zwänge. Aber was sollen wir sonst machen? Diese unverantwortlichen Leute gefährden die ganze Gemeinschaft. Wir haben viele Zwänge in der Gesellschaft. Wir dürfen nicht auf der Autobahn rasen und müssen uns beim Autofahren angurten. Und ich finde, wir müssen uns auch impfen lassen.
Impfgegner sagen, das sei nicht die richtige Lösung. Die Wirksamkeit der Masernimpfung sei nicht bewiesen und sie fürchten, die Impfung sei gesundheitsschädigend. Wie begegnen Sie solchen Kritikern?
Der Begriff Impfkritiker ist irreführend. Diese Menschen sind keine Kritiker, diese Leute verbreiten Unwahrheiten. Ein Kritiker ist jemand, der sich ernsthaft mit etwas auseinandersetzt. Das ist hier nicht der Fall.
Die Lautesten haben die grösste Zustimmung – egal was sie verbreiten.
Die Daten sprechen eine klare Sprache. Die Impfung wurde Millionen von Menschen ohne jegliche Nebenwirkung verabreicht. Todesfälle hat es dabei keine gegeben. Wir dachten nicht, dass das Internet zu sowas führen würde. Die Lautesten haben die grösste Zustimmung – egal was sie verbreiten.
Das Gespräch führte Marlen Oehler.