Schneesport ist für viele Bergkantone ein saisonales Überlebenselixier. Der coronabedingte Ruf nach Schliessung der Skigebiete führt zu erbitterten Debatten.
Politik und Gesundheitsexperten sind sich nicht überall einig. Im Kanton Graubünden und im Kanton Wallis haben die Behörden für eine Eröffnung der Skiarenen grünes Licht gegeben. Die Verantwortlichen in ihren Spitälern hingegen sind alarmiert.
Man sieht sofort, dass das rein statistisch nicht aufgeht.
Wenn die Bündner Bevölkerung im Winter wegen der Touristen von 200'000 auf 400'000 Menschen anschwelle, bedeute das auch für die Intensivbetten-Auslastung eine Zunahme um 1-2 zusätzliche Patienten pro Woche, erklärt der Direktor des Kantonsspitals Graubünden. Derzeit sind in Arnold Bachmanns Spital von 16 Intensivpflegebetten 13 besetzt.
In der Wintersaison arbeite die Intensivpflege-Station mit einer Auslastung von 80 bis 100 Prozent, sagt der Direktor. «Wenn jetzt noch 60 bis 90 Prozent durch Covid-Patienten hinzukommen, sieht man sofort, dass das statistisch nicht aufgeht.»
Ähnlich tönt es aus anderen Kantonen. Der St. Galler Gesundheitsdirektor Bruno Damann (CVP) verweist für die Schliessung der St. Galler Skigebiete auf das ohnehin erhöhte Unfallaufkommen zur Winterszeit.
Und den Klinikdirektor und Chefarzt des Universitären Notfallzentrums im Inselspital Bern treiben noch andere Sorgen um als nur jene des erhöhten Unfallaufkommens.
«Wir reden hier auch von der Ansteckung beim Schlange stehen oder in vollen Gondeln», erklärt Aristomenis Exadactylos. Es müsse jeder selbst wissen, ob er die zusätzliche Belastung des Gesundheitswesens verantworten könne.
Die Touristen kommen ja so oder so, dann haben sie halt Unfälle beim Freeriden.
Bergbahnen und viele Wirtschaftspolitiker sehen das freilich anders. Der Vorsteher des Departements für Volkswirtschaft und Soziales im Kanton Graubünden glaubt nicht an die Wirksamkeit von Schliessungsmassnahmen. «Die Touristen kommen ja so oder so», sagt Marcus Caduff, «dann haben sie halt Unfälle beim Freeriden abseits der Piste.»
Im Kanton Graubünden ist es gar Gesundheitsdirektor Peter Peyer (SP) selbst, der seinem Spitaldirektor Paroli bietet.
Es sei nicht so einfach, von der Anzahl Skiunfälle auf die Belegung von Intensivpflegebetten zu schliessen, sagt Peyer. Es seien viele Faktoren einzubeziehen, so zum Beispiel die Dauer der Belegung eines solchen Bettes.
Unfall-Statistiken helfen kaum weiter
Im besten Fall wären es harte Zahlen, die die Debatte der Entscheidungsträger leiten. Aber gerade hier erweist sich die Krux im Detail.
Auf den ersten Blick sind die hohen SUVA-Werte in den Wintermonaten ein deutliches Indiz für die Überlastungsthese der Spitäler. Auch eine grosse Untersuchung der Beratungsstelle für Unfallverhütung BFU aus dem Jahr 2015 legt diesen Schluss nahe.
76'000 Ski- und Snowboardunfälle, davon 3720 mit schweren Verletzungsfolgen, sind zwar eine beachtliche Zahl. Dennoch lassen sie sich zur Beurteilung eines Überlastungsrisikos in den Wintermonaten nur beschränkt heranziehen.
Ein Tanz am Abgrund
Denn man könne auch mit leichten Verletzungen auf einer Intensivstation landen und umgekehrt mit schweren kein Spital von innen sehen, gibt die Beratungsstelle zu bedenken. Die Schwere der Verletzung orientiere sich an der Zeitdauer der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit und nicht an der Art der medizinischen Behandlung.
Es hängt demnach von vielen Faktoren und nicht erhobenen Daten ab, in welchem Ausmass die Öffnung der Skigebiete zu einer Überlastung der Intensivstationen führt. Für die Spitäler und ihre Belegschaften dürfte eine Öffnung aber zweifellos einem Tanz am Abgrund gleichkommen.