Den Kritikern des Lockdowns dient Schweden gerne als Vorbild – trotz der höheren Anzahl an Toten und Infizierten. Denn in Schweden ist das öffentliche Leben während der Coronakrise nie still gestanden. So waren etwa Restaurants, Cafés und Schulen mit gewissen Einschränkungen immer offen. Verboten waren und sind Veranstaltungen mit mehr als 50 Personen. Die Menschen sind angehalten, Abstand zu halten und Hygienemassnahmen wie Händewaschen anzuwenden.
Der Chefepidemiologe der schwedischen Regierung Anders Tegnell, der für diese Strategie verantwortlich ist, findet, der schwedische Weg funktioniere: Schweden erziele dieselben Ergebnisse wie andere Länder, aber ohne die drastische Massnahme eines Lockdowns.
Deutlich mehr Tote pro 100'000 Einwohner als die Schweiz
Matthias Egger, Epidemiologe und Chef der Schweizer Covid-19-Taskforce, ist mit dieser Einschätzung nicht einverstanden: «Schweden hat das Ziel sicher noch nicht erreicht, wenn man die Zahlen anschaut.» Die Kurve der Infektionen konnte noch nicht entscheidend gedrückt werden. Schweden hat mit 33 Toten pro 100'000 Einwohner auch deutlich mehr Tote als etwa die Schweiz mit 22 Toten. «Und diese Zahl steigt in Schweden ständig weiter an.»
Tatsächlich ging die Zahl der täglich gemeldeten Neuinfizierten in Schweden nur leicht zurück. So wurden in den letzten 10 Tagen täglich immer noch zwischen 277 und 751 Neuinfektionen gemeldet (Tagesmaximum seit Beginn: 812). Im Gegensatz dazu ging die Kurve in der Schweiz deutlich zurück. Im selben Zeitraum waren es hier nie mehr als 89 und in den letzten Tagen sogar immer weniger als 50 Neuinfizierte (Tagesmaximum seit Beginn: 1464).
Wir sind jetzt ja von den Massnahmen her sehr nahe an Schweden.
Ähnlich verhält es sich mit den Todesfällen. Während die Schweiz in den letzten zehn Tagen nie mehr als 7 Covid-19-Todesfälle innerhalb von 24 Stunden vermeldete, sind es in Schweden im gleichen Zeitraum täglich bis zu 147.
Kann die Schweiz von Schweden trotzdem etwas lernen? Egger findet, es gebe durchaus auch Dinge, die Schweden gut mache: «Sie haben einen Dialog mit der Bevölkerung, die Bevölkerung unterstützt die Massnahmen und die Gesundheitspolitik.»
Der Epidemiologe hofft nun, dass hierzulande auch die Kritiker des Lockdowns und Fans des schwedischen Weges mitmachten, und sich genau wie die Schweden an die Distanz- und Hygieneregeln hielten. «Wir sind jetzt ja von den Massnahmen her sehr nahe an Schweden.» Denn nur mit dem Einhalten der Distanz- und Hygieneregeln könne ein erneutes Ansteigen der Infektionen und damit eine allfällige neuerliche Verschärfung der Massnahmen verhindert werden: «Sollte es täglich wieder mehr als 100 oder 200 neue Fälle geben, müssen wir darüber reden.»