Seit Jahren ächzt die Stadt Winterthur unter ihren steigenden Sozialhilfekosten. Betrugen sie 2010 noch gut 35 Millionen Franken, waren es 2019 bereits 61 Millionen Franken. Auch die Anzahl Bezügerinnen und Bezüger nahm stetig zu: von unter 3000 auf über 4500 Fälle. Elf zusätzliche, befristete Stellen in der Sozialberatung sollten Abhilfe schaffen.
Die Idee des Stadtrates: Wenn sich die einzelnen Sozialberaterinnen und -berater um weniger Fälle kümmern müssen, steigt die Qualität der Beratung und es werden langfristig Kosten gespart. Laut dem Departement für Soziales hat sich diese These nun bestätigt: 2019 konnten die Gesamtkosten um 2.7 Millionen Franken gesenkt werden. Der Erfolg des Pilotprojekts überzeugt auch die Parteien, sogar die SVP.
Die intensivere Sozialarbeit habe sich ausbezahlt, sagt Sozialvorsteher Nicolas Galladé: «Intensivere Sozialarbeit bringt nicht nur den Klientinnen und Klienten etwas, sondern auch den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern in Winterthur.» Neu betreuen die Angestellten in der Sozialberatung nur noch 80 Fälle anstatt 120. Das kostet zwar mehr, spart aber offensichtlich Geld.
So sind nicht nur die Kosten pro Fall gesunken, es fanden auch mehr Menschen wieder raus aus der Sozialhilfe. Sie fanden Arbeit, konnten ihr Pensum erhöhen oder es konnten andere Lösungen gefunden werden, wie zum Beispiel ein Stipendium für eine Ausbildung bei Jugendlichen.
Das schweizweit einzigartige Pilotprojekt soll jetzt unbefristet weitergeführt werden. Für die elf zusätzlichen Stellen benötigt Nicolas Galladé noch die Zustimmung des Parlaments. Gerade bürgerliche und Mitte-Parteien stemmen sich jedoch in der Regel gegen zusätzliche Stellen in der Verwaltung. Nicht aber in diesem Fall: das Projekt stösst von links bis rechts auf Zustimmung.
Programm nicht nur gut für die Stadtkasse
In diesem Fall gebe es gute Gründe, zusätzliche Stellen zu bewilligen, sagt Thomas Wolff, Fraktionspräsident der SVP im Winterthurer Stadtparlament. «Wir sind gegenüber diesem Pilotprojekt grundsätzlich positiv gestimmt, weil es Einsparungen bringt.» Auch Andreas Geering, der für «Die Mitte» im Winterthurer Gemeinderat sitzt, sieht die positiven Effekte. Diese seien aber nicht nur finanzieller Natur. «Auch bezogen auf jedes Einzelschicksal ist es sehr erfreulich, dass mehr Leute den Weg aus der Sozialhilfe gefunden haben.» Geering stellt aber in Frage, ob dafür tatsächlich elf zusätzliche Stellen geschaffen werden müssen oder ob auch weniger Stellen ausreichend wären. Trotzdem dürfte die Vorlage im Parlament ohne grossen Widerstand durchkommen. Das Modell und die Erfahrungen der Stadt Winterthur sind auch für andere Schweizer Städte und Gemeinden interessant. So wird das Modell zwischen 2022 und 2027 auch in Basel-Stadt getestet.