Es ist ein Jahreswechsel, wie ihn Herzchirurg Thierry Carrel seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr erlebt hat. «Seit dem Staatsexamen 1984 habe ich über die Festtage immer gearbeitet – ich konnte mir fast nicht mehr vorstellen, wie es ist, diese Tage einfach freizuhaben und zu geniessen», sagt er.
Geplant waren diese freien Tage allerdings nicht. Carrel, der als einer der besten Herzspezialisten Europas gilt, war bis vor kurzem noch stellvertretender Leiter der Herzchirurgie des Zürcher Universitätsspitals (USZ). Anfang November wurde bekannt, dass das USZ die Leitung der Herzchirurgie neu besetzt, Carrel räumte seinen Posten innert wenigen Wochen.
Dieser Abgang sei «schon ziemlich abrupt» gewesen, sagt der 62-Jährige. Aber er geniesse die plötzliche Freiheit vor der regen Operationstätigkeit und dem stark fordernden Spitalalltag.
Der Spitzenarzt muss sich in neue Dossiers einarbeiten
Dazu kommt: Einen Teil seiner frei gewordenen Zeit kann Carrel gut gebrauchen, um sich in sein neues politisches Amt einzuarbeiten. Anfang November – nur kurz vor seinem Abgang am Universitätsspital – hat er sein Amt als Gemeinderat der Luzerner Seegemeinde Vitznau angetreten, in das er im Frühling als Vertreter der FDP gewählt worden war.
Der Herzchirurg von Weltruf ist seither zuständig für die Bereiche Gesundheit und Soziales eines Dorfes, in dem rund 1500 Menschen leben.
Vieles sei für ihn dabei Neuland, sagt Carrel, gerade im Sozialwesen. So fällt in seinen Bereich auch die Unterbringung von Geflüchteten der Ukraine. Rund 30 Schutzsuchende muss Vitznau gemäss kantonalem Verteilschlüssel aufnehmen.
Es ist nicht einfach, in einem so kleinen Dorf Wohnungen für Geflüchtete zu finden.
«Das ist nicht einfach, denn in einem so kleinen Dorf gibt es wenig freie Wohnfläche», sagt Carrel. «Es gehört zu meinen Aufgaben, die Augen offenzuhalten. Bei potenziell frei werdenden Wohnungen telefoniere ich mit den Vermietern und schaue, ob dort die Unterbringung von Geflüchteten möglich wäre.»
Der Name als Türöffner
Ein langfristiges Projekt sei zudem die ärztliche Versorgung der Dorfbevölkerung. Seit der Pensionierung des letzten Hausarztes ist diese zwar noch über die Ärzte der Nachbardörfer sichergestellt, doch auch die gehen irgendwann in Pension.
Ich lebe nach dem Motto: Sag niemals nein.
Es sei schwierig, junge Ärztinnen und Ärzte in kleine Dörfer zu holen, sagt Carrel. Neue Modelle seien gefragt – wie allenfalls auch «Flying Doctors»: Ärztinnen und Ärzte aus umliegenden Spitälern, die in Teilzeit Konsultationen in Dörfern durchführten. «Wir brauchen neue Konzepte, und ich hoffe, dass mein Name hier ein Türöffner sein kann.»
Der gebürtige Freiburger lebt seit etwas über zwei Jahren fest in Vitznau und fühlt sich dort sichtlich wohl: Kurz vor Weihnachten moderierte er das Adventskonzert der Musikgesellschaft in der Pfarrkirche, bereits vergangenes Jahr trat er der Alphorngruppe Vitznau bei.
Carrels Herz schlägt schon länger auch für die Politik
Dass Carrels Herz auch für die Politik schlägt, ist nicht neu: Bereits vor gut elf Jahren trat er – damals noch wohnhaft im Kanton Bern – für die FDP zu den Nationalratswahlen an.
Ob aus seinem Gemeinderatsmandat eine Politkarriere über das Dorf hinaus wird, lässt er offen. Die Luzerner FDP habe ihn wegen der Kantonsratswahlen vom kommenden Frühling kontaktiert, sagt Carrel. Er wolle jetzt aber erst mal in Vitznau einen guten Job machen – «vielleicht geht dann eine weitere Tür auf», sagt er lediglich. Und: «Ich lebe nach dem Motto: Sag niemals nein.»