2015 gab es bei den nationalen Wahlen einen Rechtsrutsch, 2019 ging es zurück nach links. Das regelmässige Hin und Her bei den Schweizer Wahlen lässt einen zuweilen vergessen, dass es in der Politik nicht nur rechts und links gibt.
Ein Jahr vor den nationalen Wahlen wird dies mit dem SRG-Wahlbarometer aber deutlich. Es gibt zwar eine leichte Veränderung nach rechts, deutlicher sind aber die Gewinne der liberalen Parteien.
Ein Grund dafür dürfte sein, dass FDP und GLP klarer unterscheidbar sind als bei den letzten Wahlen. Dadurch wächst das Spektrum der potenziellen Wählerinnen und Wähler für die liberalen Parteien.
FDP und GLP profitieren von der Wählerwanderung
Während die FDP 2019 noch mit Klimapolitik punkten wollte, hat der Freisinn unter Parteipräsident Thierry Burkart nun wieder ein klar rechtsbürgerliches Profil. Damit kann die FDP Anhänger der SVP abwerben oder zurückgewinnen – und zwar mehr, als sie gleichzeitig an die GLP verliert.
Die GLP bewahrt derweil ihren Mitte-links-Kurs. Sie ist die Partei, die am meisten Wechselwählende anzieht. Neben der FDP gemäss Umfrage primär von der Mitte und den Grünen. Der Neuen-Bonus zieht noch immer, wenn auch schwächer als 2019. Gleichzeitig konnten die Grünliberalen ihr Profil zumindest teilweise schärfen – etwa in der Energie- oder Gesellschaftspolitik.
Die FDP profitiert derweil von einer personellen Erneuerung: Die Umfrageteilnehmenden schreiben Thierry Burkart von allen Parteipräsidenten den grössten positiven Einfluss auf das Abschneiden der Partei zu.
So werden die Parteispitzen wahrgenommen
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Bild 1 von 6. An erster Stelle steht der neue FDP-Präsident Thierry Burkart. 67 Prozent der Wählerinnen und Wähler der FDP schreiben dem Nachfolger von Petra Gössi einen positiven Effekt auf das Abschneiden seiner Partei zu. Diese positive Wahrnehmung von Burkart dürfte ein Faktor für die Trendwende bei der FDP sein. Bildquelle: Keystone/Peter Klaunzer.
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Bild 2 von 6. Fast ebenso positiv wie Burkart wird Mitte-Präsident Gerhard Pfister durch die eigene Basis beurteilt. 65 Prozent sind der Ansicht, dass Pfister einen positiven Effekt auf das Abschneiden der Mitte hat. Bildquelle: Keystone/Alessandro della Valle.
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Bild 3 von 6. Auf Platz 3 folgt das Co-Präsidium der SP. 54 Prozent der SP-Wählenden schreiben Mattea Meyer und Cédric Wermuth einen positiven Effekt auf die Partei zu. 8 Prozent einen negativen: Das ist so viel wie bei keiner anderen Partei. Wermuth/Meyer erhalten eine positive Gesamtbeurteilung, werden aber kontroverser als die anderen beurteilt. Bildquelle: Keystone/Martial Trezzini.
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Bild 4 von 6. 50 Prozent der GLP-Wählenden schreiben Jürg Grossen einen positiven Effekt auf das Abschneiden der Partei zu – und kaum jemand einen negativen. Auffallend ist allerdings, dass fast die Hälfte der Befragten im SRG-Wahlbarometer kein Urteil abgeben können oder wollen. Bildquelle: Keystone/Anthony Anex.
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Bild 5 von 6. Seit zwei Jahren präsidiert Marco Chiesa die SVP. Nur eine Minderheit von 48 Prozent ist der Ansicht, dass er einen positiven Effekt auf das Abschneiden der eigenen Partei hat. 7 Prozent schreiben dem Nachfolger von Albert Rösti einen negativen Effekt zu. Bildquelle: Keystone/Urs Flüeler.
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Bild 6 von 6. Auch bei der Basis der Grünen glaubt nur eine Minderheit von 44 Prozent, dass vom Parteipräsidenten ein positiver Effekt an der Urne ausgeht. Auffällig ist bei Balthasar Glättli auch, dass ihm zwar nur wenige einen negativen Effekt zuschreiben (4 Prozent), besonders viele jedoch keine Beurteilung abgeben können oder wollen. Bildquelle: Keystone/Ennio Leanza.
Die Themenlage kommt den liberalen Parteien ebenfalls entgegen. Zwar scheint der Ukraine-Krieg das Bedürfnis nach militärischer Sicherheit nicht zu erhöhen – einer der Faktoren, für den Burkart steht. Doch die Sicherheit der Energieversorgung wurde plötzlich auf Platz zwei der wichtigsten politischen Herausforderungen katapultiert.
In Krisen verlieren «links» und «rechts» an Bedeutung
FDP und GLP dürften hier Wählende anlocken, die nach pragmatischen Lösungen suchen: Die FDP nimmt seit kurzem in Kauf, dass die Schweizer AKW länger laufen. Sie konnte sich im Parlament auch beim Ausbau der Solarenergie in den Alpen profilieren.
Und die GLP lässt als grüne, aber auch wirtschaftsorientierte Partei, im Zweifel der Versorgungssicherheit den Vorrang vor dem Landschaftsschutz und der Biodiversität. Die Grünen setzten ihre Priorität lange anders, wenn es um den Ausbau erneuerbarer Energien ausserhalb der Städte ging.
Die Pandemiepolitik hat kaum mehr Einfluss auf den Wahlentscheid. Aber die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass in Krisen die Unterscheidung von links und rechts an Bedeutung verliert. Läuft die Schweiz in den nächsten Monaten in eine Energiemangellage, könnte sich dies wieder akzentuieren. Dann sind die Chancen gross, dass sich bestätigt, was die SRG-Umfrage zeigt – und 2023 «liberal» statt «grün» im Parteinamen Trumpf wird.