Dass der erste «Super Recognizer» ausgerechnet in Winterthur zum Einsatz kommt, liegt an Lorenz Wyss. Er leitet bei der Stadtpolizei die Abteilung Fahndung. Seine Diplomarbeit hat der 43-Jährige über «Super Recognizer» geschrieben. Dabei ist in ihm die Überzeugung gereift, dass solche Menschen viel beitragen könnten zur Polizeiarbeit.
«Super Recognizer» bleibt anonym
Das habe sich in den ersten zweieinhalb Monaten bestätigt, seit der Gesichtserkennungsexperte seine Arbeit aufgenommen hat. «Er lieferte in dieser Zeit 27 Täterhinweise. Zum Teil konnte er den Verdächtigen direkt identifizieren, teils waren es Hinweise, die wir weiterverfolgen konnten», sagt Wyss.
Weil der «Super Recognizer» anonym bleiben soll, spricht er selber nicht mit den Medien. Dafür erzählt sein Chef Lorenz Wyss, wie der Gesichtserkennungsexperte arbeitet. «Er schaut sich hauptsächlich am Computer Fahndungsbilder an. Und versucht, die Gesichter zuzuordnen.» Es erreichten ihn Anfragen aus der ganzen Schweiz.
Wie das konkret funktioniert, erklärt Lorenz Wyss an einem Fallbeispiel: Ein junger Mann klaut einen Roller und wird anschliessend von einem Blitzkasten fotografiert. Wyss legt das Bild auf den Tisch: «Weil der Verdächtige einen Helm trägt, sind einzig die Augenpartie und die Nase zu sehen. Allein aufgrund dieses Fotos konnte unser Super Recognizer den Mann erkennen.» Und zwar, weil er vor einem halben Jahr ein anderes Bild dieses Mannes gesehen hatte. Aufgrund dieses Hinweises hat die Stadtpolizei Winterthur den Verdächtigen vorgeladen – und er hat den Roller-Diebstahl gestanden.
Bei diesem Bild hätte eine Software keinen Treffer gelandet.
Wyss geht davon aus, dass eine Gesichtserkennungssoftware an dieser Aufgabe gescheitert wäre. Dieses Beispiel zeige, dass «Super Recognizer» eine wichtige Ergänzung zum Computer seien – aber kein Ersatz. «Eine Gesichtserkennungssoftware ist aufgrund der Bilderflut unerlässlich für die Polizeiarbeit.» Es gelte, diese aussergewöhnlichen menschlichen Fähigkeiten eines «Super Recognizers» mit den Möglichkeiten von Computerprogrammen zu kombinieren.
In Deutschland gibt es bereits «Super Recognizer»
Die Fähigkeiten von Menschen und Computern kombinieren – dem stimmt Meike Ramon zu. Die Neurowissenschaftlerin der Universität Lausanne gilt als führend im Bereich «Super Recognizer». Im Auftrag der Berliner Polizei hat sie einen Test entwickelt, der solche Super-Erkenner ausfindig machen soll. Der Test sei so konzipiert, dass er die Schwächen von Gesichtserkennungssoftwares aufnehme. «Wir haben die Fehler der künstlichen Intelligenz genommen und den Leuten Aufgaben gegeben, bei denen die Software scheitert.»
Wer den Test besteht, gilt «offiziell» als «Super Recognizer». In Deutschland setzen neben Berlin auch Städte wie München oder Stuttgart auf solche spezialisierten Ermittlerinnen und Ermittler.
Als einziger Schweizer Polizist hat der Mann aus Winterthur den Test der Berliner Polizei absolviert – und mit Bravour bestanden. Weshalb er als einziger «echter Super Recognizer» der Schweiz gilt. Sowohl Meike Ramon als auch Lorenz Wyss von der Stadtpolizei Winterthur hoffen aber, dass künftig weitere solche Gesichtserkennungsexperten bei Schweizer Polizeien zum Einsatz kommen.