«Das ist eine Provokation, was Sie hier sagen, Herr Vogt», sagt Daniel Lampart, Chefökonom des Gewerkschaftsbunds, enerviert: «Alles wird teurer, die Mieten steigen, die Mehrwertsteuer wird erhöht, die Preise galoppieren davon. Und Sie als Arbeitgeberpräsident zeigen nicht die geringste Bereitschaft, die Löhne zu erhöhen.»
Mit dieser Aussage hat Lampart den Rahmen der Diskussion abgesteckt. Im Club debattiert Moderator Mario Grossniklaus mit seinen Gästen zum Thema «Arme reiche Schweiz». Und will von ihnen wissen, ob sich Normalverdienerinnen und -verdiener das Leben in der Schweiz überhaupt noch leisten können.
Für manche ist es schwierig, wie das Beispiel von Markus Christen zeigt, der mit einer kleinen Rente leben muss. Die Krankenkassenprämien belasten ihn schon lange, nun sind auch die Lebensmittelpreise gestiegen: «Jeden Tag laufe ich im Laden die Regale ab und schaue, wo etwas in Aktion ist.» So kommt er, der knapp am Existenzminimum lebt, über die Runden. Aber Sonderausgaben liegen nicht mehr drin.
Christen ist mit diesem Problem nicht alleine, wie Preisüberwacher Stefan Meierhans sagt. Lange betrafen die meisten Meldungen aus der Bevölkerung die steigenden Krankenkassenprämien. Jetzt auch vermehrt die Preise von Heizöl, Benzin, Strom oder Gas.
Die Teuerung betrifft auch den Mittelstand
Das Duell, das sich im Zuge der Diskussion entwickelt, spielt aber zwischen Lampart und Vogt. Für Lampart ist klar: Steigt die Teuerung auf über zwei Prozent, braucht es eine Lohnerhöhung, und zwar für alle. Vogt hingegen meint, man soll nur jenen helfen, die es brauchen. Lampart: «Die Teuerung betrifft nicht nur Leute mit kleinen Einkommen, sondern auch den Mittelstand». Vogt: «Auch Arbeitgeber sind von der Teuerung betroffen und müssen für viele Vorleistungen mehr Geld ausgeben. Wenn sie auch noch höhere Löhne zahlen müssen, sind sie weniger konkurrenzfähig.»
Die neusten Zahlen des Bundesamts für Statistik stützen beide Ansichten. Tatsächlich sind die Löhne in der Schweiz 2022 real gesunken, wenn man die Teuerung berücksichtigt, und zwar gleich um 1.9 Prozent. Das ist so viel wie seit über zehn Jahren nicht mehr. Aber: 2015 waren sie teuerungsbereinigt auch um 1.5 Prozent gestiegen. Weshalb Vogt meint: «Das gleicht sich über die Jahre aus.»
Auch auf eine andere Aussage Vogts reagiert Lampart heftig: «So kann man das nicht im Raum stehen lassen.» Vogt hatte gesagt, dass die Arbeitnehmenden in der Schweiz im Durchschnitt gerade noch 31 Stunden pro Woche arbeiteten. «Wir wollen immer weniger arbeiten und auf der anderen Seite beklagen wir uns, dass wir weniger Geld zum Leben haben.» So könne man den Wohlstand im Land nicht halten.
Lampart aber meint, man müsse die ganze Familie und nicht Einzelpersonen betrachten. Schweizer Familien arbeiteten heute so viel wie noch nie – 20 Stunden mehr als noch vor dreissig, vierzig Jahren. Oft seien beide Elternteile erwerbstätig, weil sie sonst die Familie nicht mehr durchbringen könnten. Das Fazit des Gewerkschafters nach der Diskussion: Wenn vonseiten der Arbeitgeber nicht einmal ein kleines Zeichen für eine Lohnerhöhung komme, dann stünden diesen anstrengende Lohnverhandlungen bevor.