Die Energiekrise schlägt im nächsten Jahr auf das Portemonnaie. Für Firmen, die ihren Strom auf dem freien Markt beziehen und keine langfristigen Verträge abgeschlossen haben, dürfte es besonders happig werden. Die an der Börse gehandelten Strompreise gehen momentan durch die Decke.
In der Schweiz sind davon über 23'000 Unternehmen betroffen. Eines davon ist das Hotel Storchen in Zürich. «Der Strompreis wird bald elfmal höher sein als das, was wir im Moment noch zahlen», sagt der Hoteldirektor Jörg Arnold. Fast täglich werden die Stromofferten des Energieversorgers fürs kommende Jahr angepasst.
Würde Arnold heute den Vertrag abschliessen, wären das für das kommende Jahr Mehrkosten von knapp zwei Millionen Franken – alleine für den Strom. «Das muss ich auf die Gäste abwälzen – pro Logiernacht sind das 50 bis 70 Franken.» Ob die Gäste das bezahlen werden? «Das ist die grosse Frage», sagt Arnold schulterzuckend.
Früher profitiert
Wie das Hotel Storchen sind in der Schweiz ungefähr 23'000 andere Unternehmen von der Preisexplosion betroffen. Denn seit der Strommarktliberalisierung sind Grosskunden mit einem Jahresverbrauch von mehr als 100'000 Kilowattstunden nicht mehr verpflichtet, ihren Strom über die regionale Grundversorgung zu beziehen, sondern können ihn – auf eigenes Risiko – auf dem freien Markt einkaufen. Viele Jahre profitierten sie von tieferen Preisen, nun müssen sie wohl sehr tief in die Taschen greifen.
Je nach Entwicklung der Situation könnten dadurch einige Unternehmen in Schwierigkeiten kommen, heisst es beim Schweizerischen Gewerbeverband. SGV-Präsident und Nationalrat Fabio Regazzi (Mitte/TI) betont, dass es wichtig sei, die Preise so schnell wie möglich wieder auf ein normales Niveau zu bringen. «Sonst könnte es sein, dass in Zukunft Massnahmen wie Entlassungen ausgesprochen werden müssen.» Konkrete Fälle seien ihm bisher aber noch nicht bekannt.
Beispiellose Situation
Der aktuelle Preisanstieg sei beispiellos, sagt der Strommarktexperte Ulrich Münch. Grundsätzlich funktioniere der Strommarkt zyklisch und sei immer von Auf- und Ab-Bewegungen geprägt. «Aber in dieser Schnelligkeit und in dieser Höhe habe ich es noch nie erlebt. Das ist absolut nicht zu vergleichen mit dem, was wir in den letzten 20 Jahren erlebt haben», stellt Münch fest.
Und diese Ausnahmesituation dürfte laut Münch auch noch einige Zeit anhalten. «Mit sehr kurzfristigen Änderungen ist eher nicht zu rechnen». Allerdings gebe es gute Gründe, warum der Strompreis auch bald wieder sinken könnte.
Einerseits werde Deutschland schon bald die von Russland unabhängige Gasinfrastruktur aufgebaut haben. Und in Frankreich gehen vielleicht schon bald wieder die derzeit abgeschalteten Kernkraftwerke ans Netz. «Und dann kommt es auch noch darauf an, ob in der Schweiz und dem restlichen Europa die Steigerung der Produktion erneuerbarer Energie so durchgezogen werden kann, wie geplant», sagt Münch.