Alois Carnier arbeitet seit drei Jahren als Begleitperson bei Exit. Im Gespräch erzählt er, wie es sich anfühlt, eine sterbewillige Person bei der Umsetzung dieses Wunsches zu unterstützen, wie er den Angehörigen hilft und warum er regelmässig Anfragen ablehnen muss.
SRF News: Was hat Sie dazu bewogen, Menschen in den Tod zu begleiten?
Alois Carnier: Für mich war Selbstbestimmung immer schon wichtig. Im Leben und auch im Tod. Als ich dann ein Inserat in der Mitgliederzeitung von Exit sah, dachte ich: Das wäre eine sinnvolle Beschäftigung neben meinem Beruf.
Wie fühlt es sich an, jemandem das Sterbemedikament zu reichen?
Das ist für mich ein sehr ehrfürchtiger Moment, in dem ich auch den Mut dieser Person bewundere, die eigentlich immer ohne zu zögern das Getränk einnimmt. Das ist aber auch konsequent: Am Tag selbst frage ich beim Hereinkommen, ob es wirklich der richtige Zeitpunkt ist, heute zu sterben. Ich umschreibe es dabei nicht, sondern nenne es beim Wort. Auch danach wird das Exit-Mitglied noch zwei- oder dreimal gefragt, ob er oder sie wirklich sterben möchte. Insgesamt ist klar: Die sterbewillige Person gibt das Tempo vor.
Wie ist die Stimmung im Raum, wenn jemand kurz davor ist, sich selbst das Leben zu nehmen?
Ganz unterschiedlich. Es kann sehr still sein, aber auch ausgelassen. Da die Angehörigen meist in den ganzen Prozess involviert waren, können sie einen Teil der Trauerarbeit schon vorher leisten. Trotzdem: Es werden natürlich auch Tränen vergossen. Das ist in dem Moment alles normal. Meine Aufgabe als Begleiter ist es, den Lead zu haben und mich so weit zurückzunehmen, dass der Raum da ist für die Angehörigen und dass auf keinen Fall Druck entsteht.
Es kann schon sein, dass ich sage: Das ist für mich kein Grund zum Sterben.
Nach dem Tod muss die Polizei gerufen werden. Ist das nicht ein Schock für die Angehörigen?
Tatsächlich gilt der assistierte Suizid als «aussergewöhnlicher Todesfall». Deshalb müssen wir die Nummer 117 anrufen. Das erklären wir aber allen Beteiligten vorher, es ist also keine Überraschung. Die Behörden gehen sehr rücksichtsvoll vor. Die Angehörigen verlassen bei der Inspektion das Zimmer und werden höchstens noch gefragt, ob sie gesehen haben, wie ihre Angehörige das Sterbemedikament selbstständig getrunken hat.
Gab es auch schon Fälle, in denen Sie nicht bereit waren, jemanden beim Suizid zu unterstützen?
Ja, ich mache fast mehr Absagen als Zusagen. Das liegt an meiner Rolle als Regionalleiter. Da bin ich für die Mitglieder mit psychiatrischen Hauptdiagnosen zuständig. Hier ist Unterstützung durch Exit nicht immer möglich. Auch bei körperlichen Leiden können wir zum Schluss kommen, dass die Voraussetzungen für eine Freitodbegleitung nicht erfüllt sind. Bei psychischen Erkrankungen sind die Hürden höher, es braucht zwei unabhängige psychiatrische Gutachten. Der Sterbewunsch darf nicht das Resultat einer momentanen depressiven Verstimmung oder Krise sein. Dann muss ich sagen: Das ist kein Grund zum Sterben. Dann schauen wir, welche anderen Optionen es gibt. Zum Beispiel die Vermittlung einer Kriseninterventionsstelle.
Und wie sieht es bei einer gesunden 84-Jährigen aus?
Grundsätzlich begleiten wir bei Exit niemanden ohne Gebrechen. Aber «gesund» ist nichts Absolutes. Was subjektiv unerträgliche Beschwerden sind, ist individuell. Da spielen auch Schmerzen, Hör- oder Sehprobleme eine Rolle. Um dieses subjektive Empfinden zu erkennen, führe ich mindestens ein Gespräch mit den Sterbewilligen, um mir ein Bild zu machen. Wenn es für mich nachvollziehbar ist, dann begleite ich sie.
Das Gespräch führte Jessica Bamford.