Es ist Sonntag, der 3. Mai 1981, Hauptausgabe der Tagesschau im Schweizer Fernsehen. Nachrichtensprecher Léon Huber begrüsst wie üblich zu den Hauptnachrichten, als plötzlich zwei vermummte Aktivisten ins Bild treten und ein Transparent in die Kamera halten. Die Sendung wird nur kurz unterbrochen. Dann liest Sprecher Léon Huber stoisch weiter, wie wenn nichts gewesen wäre:
An diesem Abend wurde in der Schweiz Fernsehgeschichte geschrieben. Die Störaktion war über Wochen ein grosses Thema. Fünf Sekunden Bildschirmpräsenz reichten, um Giorgio Bellini – oder besser gesagt seinen Namen – schweizweit bekannt zu machen.
Bellini selbst befand sich während der Störaktion in einem Münchner Gefängnis in Auslieferungshaft. Nur eine halbe Stunde nach der Aktion habe man ihn bereits darauf angesprochen, sagte Bellini viel später in einem Interview. Die Meldung verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Notabene in einer Zeit, wo es weder Social Media noch Internet gab.
Anhänger der Linken – und der Zürcher Jugendunruhen
Giorgio Bellini wuchs in Bellinzona auf, sein Herz schlug schon früh links. Er las Marx und Lenin und organisierte ohne das Mittun der Gewerkschaften einen Streik in der Bally-Schuhfabrik in Stabio. Bald wurde Bellini das Tessin zu eng. Er zog nach Zürich in den multikulturellen Kreis 4. Dort schloss er sich der Bewegung der Zürcher Jugendunruhen an.
Bellini war auch ein entschlossener AKW-Gegner. Er war an Anschlägen gegen die Atomkraftwerke Gösgen und Leibstadt und das geplante Werk in Kaiseraugst beteiligt. Nachweisen konnte man ihm das nie. Erst vor drei Jahren bekannte sich Bellini in einem NZZ-Interview zu diesen Anschlägen, welche Schäden von mehreren Millionen Franken verursacht hatten.
Verhaftung wegen Verbindungen zu Terroristen
Bellini wurde auch in Verbindung mit dem venezolanischen Terroristen Ilich Ramirez Sanchez, bekannt als Carlos, gebracht. Carlos galt damals als einer der meistgesuchten Terroristen. Deshalb wurde Bellini in Deutschland vorübergehend inhaftiert.
Später kam er deshalb in den 1990er-Jahren auch in der Schweiz ins Gefängnis. Die damalige Bundesanwältin Carla Del Ponte liess ihn wegen Verbindungen zu ebenjenem Carlos festnehmen. Nach dreimonatiger Untersuchungshaft kam er mangels Beweisen frei. Bellini gab zwar zu, Carlos zu kennen, aber ob und wie er in den internationalen Terrorismus verwickelt war, blieb bis zum Schluss unklar.
In den letzten Jahren wurde es ruhiger um Giorgio Bellini. Er zog nach Gandria am Luganersee, engagierte sich dort im Ortsverein und führte über zehn Jahre einen kleinen Dorfladen. Am Samstag verstarb Bellini im 80. Altersjahr in Gandria. Mit einer Bootsprozession auf dem Luganersee verabschieden sich Freunde, Verwandte und Bekannte vom einstigen Linksaktivisten und Anarchisten.