Jeden Tag unter der Woche dasselbe Bild: Stossstange an Stossstange, genervte Autofahrerinnen und genervte Anwohner in Oberburg bei Burgdorf BE. «Am Morgen steht der Verkehr von Langnau her, am Abend umgekehrt. Lärm, Stau. Es ist nicht praktisch, hier zu wohnen», sagt Hubert Hofmann.
Hofmann führt eine Autogarage direkt an der viel befahrenen Strasse in Oberburg in der vierten Generation. Eine mögliche Umfahrung des Ortes beschäftigt seine Familie schon lange – erst als Schreckgespenst: «Vor 50 Jahren als kleiner Junge hatte mein Vater Existenzängste.» Man habe von einer geplanten Umfahrung gehört und befürchtet, dass, wenn der Verkehr umgeleitet werde, sie keinen Durchgangsverkehr und keine Kundschaft mehr hätten. Heute ist es jedoch der Verkehr – der zu viele Verkehr – der die Kundschaft abschreckt. Nun hofft Hofmann auf eine Umfahrung.
Ähnlich geht es Confiserie-Besitzer Ruedi Neuhaus ein paar Meter weiter. «Wenn Stau ist, will die Kundschaft nicht anhalten und von Burgdorf her kommt niemand mehr, weil es zu lange geht.» Neuhaus muss bei seinen Erzählungen immer wieder neu ansetzen, weil die vielen Lastwagen auf der Strasse zu viel Lärm machen.
Das mache seine Gemeinde nicht attraktiv, so Gemeindepräsident Werner Kobel: «Die Lebensqualität leidet. Es ist nicht interessant, in die Häuser an der Emmentalstrasse zu investieren. Das Dorfbild ist nicht gerade schön.» Mit der geplanten Umfahrung würde das Dorf an Qualität gewinnen, ist Kobel überzeugt.
Ähnlich ist die Situation auch ein paar Kilometer weiter im Oberaargau rund um Aarwangen BE. Der Kanton hat deshalb seit Jahren Strassenprojekte mit Umfahrungsstrasse, Kreisel und Tunnel geplant, um beide Regionen vom Verkehr zu entlasten. Das Kantonsparlament hat dazu zwar diese Woche insgesamt 412 Millionen Franken bewilligt. Die Debatte riss aber Stadt-Land- und links-rechts-Gräben auf.
Regionen werden gegeneinander ausgespielt
Exemplarisch für die Schweiz zeigt sich an diesen Umfahrungen im Kanton Bern nämlich auf, dass sich zwar alle einig sind: So kann es nicht weiter gehen. «Die Bevölkerung leidet seit Jahrzehnten», sagt SVP-Grossrätin Andrea Gschwend. «Viele leiden unter dem motorisierten Verkehr, unter dem Lärm, dem Stau. Das ist kein schöner Zustand», sagt die Grüne Grossrätin Anna de Quervain. Wie das Problem jedoch gelöst wird, darüber herrscht grosse Uneinigkeit.
Vertreterinnen und Vertreter von Links-Grün und von den Städten wollen keine neuen Strassen – das sei ein Rückschritt für die Klimaziele. Vertreter und Vertreterinnen des bürgerlichen und rechten Lagers sowie vom Land setzen sich für die Strassenprojekte ein. Der öffentliche Verkehr könne auf dem Land nicht alles, heisst es.
Volk mit dem letzten Wort
Mitte-Grossrat Bernhard Riem warnt jedoch davor, bei Verkehrsprojekten Stadt gegen Land auszuspielen. «Wie wollt ihr die Bevölkerung für ein Tram in Bern gewinnen, wenn auf der anderen Seite als Fundamentalopposition zum Auto anständige Verkehrslösungen verwehrt werden.» Das Parlament folgte diese Woche zwar jenen Voten und genehmigte sowohl das Geld für das Verkehrsprojekt im Emmental wie auch jenes im Oberaargau.
Das letzte Wort dürfte jedoch das Volk haben, die Grünen haben bereits angekündigt, zu beiden Projekten das Referendum zu ergreifen.