Der Umbau der Stromversorgung in Europa und internationale Konflikte könnten in der Schweiz im Winter zu Stromengpässen führen. Energieminister Albert Rösti hat nun dargelegt, weshalb der Bundesrat ein Ja zum Stromversorgungsgesetz – dem sogenannten Energie-Mantelerlass – empfiehlt.
SRF News: Bundesrat Rösti, das Gesetz, das sie heute vertreten, sei ein «Beschiss»! Wissen Sie, wer das gesagt hat?
Albert Rösti: Jemand, der es nicht gut gelesen hat.
Ihre Parteikollegin Magdalena Martullo-Blocher. Es sei ein «Beschiss», weil die Energielücke gar nicht gefüllt werden könnte.
Das Gesetz sieht vor, dass wir mehr Strom produzieren können. Wir sind, dank warmer Winter, knapp an einer Mangellage vorbeigekommen. Wir brauchen mehr Wasserstrom, weil er vor allem im Winter vorhanden ist.
Es wäre das Schlimmste, wenn die Schweiz in eine Mangellage geriete, aus wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, aber auch aus Reputationsgründen.
Wir brauchen aber auch Windkraftwerke und solare Kraftwerke in den Alpen, damit wir im Winter mehr Strom haben.
Die neuen «Erneuerbaren» – also Solar, Wind, Biomasse – sollen von heute 6 auf 35 Terawattstunden in gut zehn Jahren ausgebaut werden. Das sei unrealistisch, sagte sogar eine ETH-Studie kürzlich.
Deshalb will ich es etwas bescheidener angehen. Wir brauchen 5 bis 6 Terawattstunden, um die Winterproduktion sicherzustellen. Es wäre das Schlimmste, wenn die Schweiz in eine Mangellage geriete, aus wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, aber auch aus Reputationsgründen.
Sie sagen also: Die 35 Terawattstunden sind nicht zu erreichen?
Nein, das sage ich nicht. Ich sage, wir müssen jetzt anfangen, Schritt für Schritt, die Projekte zu realisieren, die bereit sind. Wir haben im Rat 16 Wasserkraft-Projekte definiert, die man realisieren kann, das sind 2 Terawattstunden.
Je besser wir unser Land selbst mit Strom versorgen können, desto unabhängiger sind wir.
Wir haben im Windbereich ein paar Projekte, die praktisch fertig sind, die ergeben etwa eine Terawattstunde. Und wir wollen auch auf den alpinen Solaranlagen etwa eine Terawattstunde produzieren.
Ihre Partei, die SVP, wird am nächsten Samstag entscheiden, wie sie sich zum Gesetz stellt. Es ist jetzt eigentlich schon klar, dass sie Nein sagen wird. Der Parteileitungsausschuss hat einstimmig Nein gesagt. Wie wollen Sie Ihre Partei überzeugen?
Indem ich sage: Unser Land braucht dringend mehr Strom. Wir wissen, dass im Winter der Strom knapp werden kann. Die Bevölkerung wächst, die Elektromobilität braucht mehr Strom, ob man das will oder nicht. Heizungen werden ersetzt und brauchen mehr Strom. Und dann ist es auch eine Unabhängigkeitsfrage. Je besser wir unser Land selbst mit Strom versorgen können, desto unabhängiger sind wir, und ich glaube schon, dass das ein Argument ist für die SVP.
Ihre Partei sagt auch, dass Sie von den Umweltverbänden übers Ohr gehauen worden sind. Diese haben gesagt, sie würden keine Einsprachen mehr machen. Stimmt aber nicht. Die drei grössten Wasserkraftprojekte, Gorner, Trift und Grimsel, sind alle mit Einsprachen belegt.
Ich bin nicht übers Ohr gehauen worden. Man hat am runden Tisch aus 30 Wasserkraftwerken diejenigen ausgewählt, die den kleinsten Schaden für die Natur, aber den grössten Nutzen für die Energie haben.
Ich will, dass wir diese Projekte realisieren können, damit wir auf eine sichere Stromversorgung kommen können.
Das steht jetzt in diesem Gesetz, dass man sie rasch bauen kann. Das haben WWF und Pro Natura unterschrieben und bis jetzt auch eingehalten. Das heisst nicht, dass nicht andere, kleinere Verbände Einsprache machen können.
Eigentlich können Sie sich zurücklehnen. Wenn es ein Ja gibt am 9. Juni, dann haben Sie gewonnen. Wenn Sie verlieren, dann wird die Diskussion um Kernkraft wieder massiv an Fahrt aufnehmen – und das ist ja auch in Ihrem Sinn?
Das löst aber das Problem nicht. Ich bin jetzt Energieminister, und ich bin jetzt verantwortlich, dass wir auch in den nächsten zehn, 15 Jahren genügend Strom haben. Man muss das Ganze auf der Zeitachse sehen. Kurzfristig bekomme ich nur mehr Strom mit Wasser, Solar, Wind und Biogas. Etwas anderes, Geothermie, Kerntechnologie, ist nicht so schnell bereit. Deshalb ist es nicht so, dass ich nur gewinnen kann. Ich will, dass wir diese Projekte realisieren können, damit wir auf eine sichere Stromversorgung kommen können. Dass es danach noch viel mehr Strom braucht, um zu dekarbonisieren, das ist klar. Da braucht es dann auch noch andere Technologien – aber das besprechen wir dann nach der Abstimmung.
Das Gespräch führte Urs Leuthard.