Eine Nationalfonds-Studie untersucht seit 2017 die Beweggründe der Impfskeptikerinnen und -skeptiker in der Schweiz. Infektiologe Philip Tarr erklärt im Interview, weshalb sich zurzeit viele nicht impfen lassen wollen.
SRF News: Was sind die Ursachen für die Impfmüdigkeit in der Schweiz?
Philip Tarr: Ich nehme «Impfmüdigkeit» nicht als etwas Negatives wahr. Ich würde es eher umdrehen und sagen: Wenn die Behörden etwas von den Bürgerinnen und Bürgern wollen, braucht es eine gewisse Überzeugungsarbeit. Im Moment haben viele Leute in der Schweiz diese Abwägung gemacht. Das ist nach meiner Ansicht etwas ganz Normales in einer Demokratie, dass es verschiedene Meinungen und Möglichkeiten gibt. Diesen Pluralismus und die Diversität in der Gesellschaft müssen wir unbedingt mehr berücksichtigen.
Diesen Pluralismus und die Diversität in der Gesellschaft müssen wir unbedingt mehr berücksichtigen.
Welche überwiegenden Nachteile sehen gemäss Studie die Menschen, die sich nicht impfen lassen wollen?
Leute, die zum Schluss kommen, dass es besser ist, sich nicht zu impfen, haben zum Teil sehr legitime Beweggründe: Sie merken etwa an, dass die Corona-Impfstoffe in weniger als einem Jahr auf dem Markt kamen, während es bei anderen Impfungen zehn oder mehr Jahre dauerte. Das löst bei vielen Leuten eine gewisse Skepsis aus. Da müssen wir mehr kommunizieren. Ich glaube, dass das der Hauptgrund ist.
In den sozialen Medien ploppen immer wieder Verschwörungstheorien auf. Kann die Studie zeigen, inwiefern das eine Rolle spielt?
Verschwörungstheorien kommen jetzt vermutlich mehr in den Vordergrund, weil die Pandemie mit der Zeit vor der Pandemie verglichen wird. Vor der Pandemie haben wird das in der Studie nicht so stark wahrgenommen. Die Corona-Pandemie hat klar dazu geführt, dass die Behörden aktiver geworden sind und gesellschaftliche Distanzierungen angeordnet haben. Das fördert Verschwörungstheorien.
Die Pandemie hat dazu geführt, dass die Behörden gesellschaftliche Distanzierungen angeordnet haben. Das fördert Verschwörungstheorien.
Positiv könnte man anmerken: Das fördert auch Widerstand in der Bevölkerung, dass man sich vom Staat nicht alles vorschreiben lassen möchte und das infrage stellt. Ich glaube, das ist eine natürliche Folge des stärkeren und härteren und nicht immer konsequenten und auch nicht immer gut kommunizierten Auftretens der Behörden in der Pandemie.
Was sagt die Studie zu den kantonalen Unterschieden bei der Impfbereitschaft?
Es gibt sicher auch politische Unterschiede. Je nach Kanton geben sich die Behörden mehr oder weniger Mühe, Impf-Informationen bereitzustellen. Das sah man bereits vor der Pandemie. Wenn in einem Kanton die Ansicht vorherrscht, dass die Gesundheit eine Privatangelegenheit zwischen Bürgerinnen und Arzt ist, finden sich auf den Websites weniger gute Informationen. Das ist mit der Pandemie zwar anders geworden, aber die Mentalitätsunterschiede bestehen bis zu einem gewissen Grad weiterhin.
Ist ein spezielles Profil bei Impfskeptikern ersichtlich?
Man sollte von Polarisierungen wegkommen und eher bei den Motivationen ansetzen. Alle diese Leute haben aber ihre eigene Gesundheit im Sinn. Die Impfskeptikerinnen und -skeptiker treibt es zum Teil weg von der modernen Biomedizin. Nicht, weil sie unbedingt an Alternativ- oder Komplementärmedizin glauben oder etwas davon verstehen. Sondern weil die Medizin, so wie sie heute zum Teil in ihrer Selbstsicherheit auftritt, viele Leute skeptisch macht.
Dann wenden sie sich von der Schulmedizin ab zu jenen, die sich mehr Zeit für sie nehmen und ihre Impfsorgen ernst nehmen. Entsprechend gibt es schon einen Zusammenhang zwischen Impfskepsis und Komplementärmedizin.
Die Impfskeptikerinnen und -skeptiker treibt es zum Teil weg von der modernen Biomedizin. Nicht, weil sie unbedingt an Alternativ- oder Komplementärmedizin glauben oder etwas davon verstehen.
Das Gespräch führte Daniela Püntener.
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