Bis in die 1960er-Jahre war der Umgang mit Abfall in der Schweiz relativ sorglos. Die Abfälle wurden irgendwo am Dorf- oder Stadtrand hingekippt, fertig. Jahre später rächt sich das, viele Gemeinden müssen ihre ehemaligen Deponien sanieren. Ein besonderer Fall ist die Sanierung einer solchen Deponie in Windisch, beim sogenannten «Wasserschloss» im Kanton Aargau.
Das Gebiet «Fröschegräbe» liegt etwas versteckt im Wald, in der Nähe des Zusammenflusses von Aare und Reuss. Pensionär Ernst Rauber erinnert sich auf einem Spaziergang daran, wie hier die «Ochsnerkübel» mit den Siedlungsabfällen geleert wurden. «Auch aus Nachbargemeinden kamen die Leute und kippten alles hin, sogar Farbreste. Das war halt so», erzählt der Windischer Zeitzeuge.
Später wurde die Deponie stillgelegt und entwickelte sich über Jahrzehnte zu einem Naturschutzgebiet. Heute gilt das Areal als Amphibienlaichgebiet von nationaler Bedeutung. Das Problem: Der Auenschutzwald sieht von aussen zwar naturbelassen aus, der Untergrund aber ist stark belastet, wie kantonale Untersuchungen gezeigt haben.
Es liegt Gift im Naturschutzgebiet
Zink, Blei, PCB (giftige Chlorverbindungen, früher als Hydraulikflüssigkeiten und Weichmacher genutzt) und andere Stoffe lagern im Boden. «Wir wissen aus den Sondierungen, dass hier neben Hauskehricht auch Bauabfall liegt», erklärt Gemeindepräsidentin Heidi Ammon (SVP).
Der Auenwald «Fröschegräbe»
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Bild 1 von 3. Unter dem feuchten Boden des Naturwaldes in Windisch liegen Abfälle und giftige Stoffe, die zum Teil bereits im Grundwasser nachgewiesen werden konnten. Deshalb wird der Boden im Herbst 2022 ausgegraben. Bildquelle: SRF/Alex Moser.
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Bild 2 von 3. Damit die Baumaschinen in den Auenschutzwald gelangen können, musste auf einer ebenfalls geschützten Wiese eine Zufahrtsstrasse gebaut werden. Bildquelle: SRF/Alex Moser.
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Bild 3 von 3. Für die Deponie-Sanierung werden Hunderte von Bäumen gefällt. Ab Ende Jahr wird der Wald aber wieder aufgeforstet. Laut Projektbeschrieb könne man durch die gezielte Aufforstung das Naturreservat sogar noch für die hier lebenden Amphibien optimieren. Bildquelle: SRF/Alex Moser.
Der Kanton verfügte deshalb eine aufwändige Sanierung: Auf einer Fläche von rund drei Fussballfeldern müssen mehrere Hundert Bäume gefällt werden, anschliessend werden die Altlasten ausgegraben und die Deponie wird mit neuer, sauberer Erde aus der Umgebung wieder aufgefüllt.
Die Kosten, welche vor allem von Bund und Kanton getragen werden, liegen bei rund 2.5 Millionen Franken. Eine so aufwändige Sanierung sei aber nicht immer sinnvoll, erklärt Michael Madliger von der Sektion Altlasten beim Aargauer Umweltdepartement. Der Eingriff in die Natur ist gross, der geschützte Auenwald wird Jahre brauchen, bis er sich von diesem Eingriff erholt hat.
Trotzdem lohnt sich in diesem Fall die Sanierung der Deponie, sind die Gemeindepräsidentin und der kantonale Experte überzeugt. Denn es geht ums Grundwasser. «In diesem Gebiet liegt eine der wichtigsten Grundwasserfassungen im Kanton», erklärt Michael Madliger.
Alleine im Aargau gibt es 600 ehemalige Abfallgruben. Viele davon bleiben, wo sie sind. Bei 58 Deponien allerdings besteht Handlungsbedarf: Sie werden permanent überwacht oder eben sogar komplett saniert, so wie in Windisch.
Eine kleine Geschichte der Abfallentsorgung
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Bild 1 von 7. Aus den Augen, aus dem Sinn: Über Jahrzehnte wurden Abfälle in Deponien abgelegt. Hier im Bild Haushaltsgeräte und Abfallsäcke, aufgenommen in Renens, Kanton Waadt, im Juni 1977. Bildquelle: Keystone.
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Bild 2 von 7. Rückblick: Im Mittelalter wurden Abfälle und Fäkalien noch direkt in den Städten «entsorgt». Menschliche Ausscheidungen wurden mit Stroh vermischt zu Mist und anschliessend in der Landwirtschaft als Dünger eingesetzt, wie im Historischen Lexikon der Schweiz nachzulesen ist (Aufnahme von Stein am Rhein, 1947). Bildquelle: Keystone.
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Bild 3 von 7. Über Jahrhunderte landeten Fäkalien und Abfälle auch in Flüssen und Bächen. Mit der «hygienischen Revolution» im 19. Jahrhundert begannen die Behörden, die menschlichen Fäkalien vom Abfall zu trennen. Kanalisationen wurden gebaut. Hier entsorgt ein Arbeiter Kanalisationsinhalte ausserhalb der Stadt Zürich, die Aufnahme datiert von 1945. Bildquelle: Keystone.
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Bild 4 von 7. Die Abfallentsorgung wurde immer besser organisiert (im Bild die Müllentsorgung in der Stadt Zürich, nach 1970). Allerdings gab es erst wenige Verbrennungsanlagen in der Schweiz, weshalb die Siedlungsabfälle zwar professionell «eingesammelt», anschliessend aber meist einfach ausserhalb der Wohngebiete deponiert wurden. Bildquelle: Keystone.
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Bild 5 von 7. Einige dieser Deponien wurden bis in die 1980er-Jahre betrieben, so wie die Kehrichtdeponie Ufhusen im Kanton Luzern (Aufnahme vom 20. Mai 1987). Bildquelle: Keystone.
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Bild 6 von 7. Das Bewusstsein für Umweltprobleme nahm in den 60er- und 70er-Jahren allerdings zu. So sammelten Freiwillige in verschiedenen Aktionen jeweils wild deponierte Abfälle in den Wäldern zusammen. Hier im Bild die Aktion «Uetliberg-Putzete» aus dem Jahr 1965. Bildquelle: Keystone.
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Bild 7 von 7. Die Kehrichtdeponie Cholwald bei Ennetmoos im Kanton Nidwalden (Aufnahme vom 21. März 2000) nimmt heute keine Haushaltsabfälle mehr an. Die Deponie ist aber weiterhin in Betrieb, wie viele andere ebenfalls. Hier werden zum Beispiel Bau-Abfälle gelagert, welche nicht in Kehrichtverbrennungsanlagen entsorgt werden können. Bildquelle: Keystone.
Erst in den 70er- und 80er-Jahren verfügte die Politik in der Schweiz einen strenger regulierten Umgang mit Abfällen. Die erste Kehrichtverbrennungsanlage wurde zwar bereits 1904 in Zürich eröffnet, Basel und Bern folgten aber erst in den 50er-Jahren. «Und bis auch in diesen Gemeinden die Einsicht herrschte, dass die vermeintlich harmlosen Abfälle eben doch ein Problem sind, hat es ein bisschen länger gedauert», sagt Madliger.
Nun werden diese Spuren der Vergangenheit zum Teil also mit grossem Aufwand beseitigt. Das «Abfallproblem» ist aber noch lange nicht gelöst: In anderen Ländern fehlen noch immer Kehrichtverbrennungsanlagen. Und zum Beispiel Bauschutt muss auch in der Schweiz immer noch deponiert werden, da es noch keine sinnvollen Verwertungsmöglichkeiten gibt.