Jugendliche sind so vernetzt wie nie. Trotzdem leiden 15-24-Jährige am meisten unter Einsamkeit. In der letzten Gesundheitsbefragung von 2017 antwortete rund die Hälfte, sich oft oder manchmal einsam zu fühlen. Diese Zahl nimmt seit 2002 kontinuierlich zu. «Viele Jugendliche die versuchen, sich das Leben zu nehmen, geben an, sich einsam zu fühlen», sagt Thomas Brunner, Leiter Beratung und Unterstützung bei Pro Juventute, gegenüber der «Rundschau». «Sie fühlen sich nicht zugehörig und nicht gehört.»
«Niemand wollte mit mir befreundet sein»
Dieses Gefühl kennt auch die 17-jährige Liliana Obrecht aus Luzern. Während ihrer gesamten Schulzeit war sie Opfer von Mobbing. «Es gab niemanden, der zu mir stand, der mir half», erzählt sie. «Irgendwann habe ich mich damit abgefunden, dass keiner mit mir befreundet sein will.» Der Zustand trieb sie in die Verzweiflung. Mit Ritzen habe sie versucht, den Druck zu lindern. Bis hin zu Suizidgedanken. «Ich war ein paar Mal kurz davor, mir das Leben zu nehmen.»
Suizidale Jugendliche wollen meistens nicht sterben, aber sie fühlen sich mit ihren Problemen alleine.
Dagmar Pauli, Chefärztin der Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich, kennt solche Fälle. «Suizidale Jugendliche wollen meistens nicht sterben, aber sie fühlen sich mit ihren Problemen alleine.» Einsamkeit und sich unverstanden fühlen gehen laut Pauli oft miteinander einher. «Viele getrauen sich nicht, Hilfe zu holen.»
Soziale Medien als Trigger
Liliana hatte sich irgendwann überwunden und sich ihren Eltern anvertraut. Heute lernt sie in einer Therapie, mit ihrer Vergangenheit umzugehen. Im letzten Schuljahr fand sie schliesslich ihre erste beste Freundin. Doch bis heute überkommt sie manchmal das Gefühl von Einsamkeit. Auslöser können auch die sozialen Medien sein. «Wenn ich am Wochenende entspannen will und dann auf Instagram sehe, wie andere mit vielen Freunden abhängen und Spass haben. Dann denke ich manchmal: Warum fragt mich keiner?»
Stundenlanges scrollen durch soziale Medien hinterlässt oft eine grosse Leere.
Ein bekanntes Phänomen. «Durch den ständigen Vergleich fühlen sich Jugendliche noch einsamer», bestätigt Jugendpsychiaterin Dagmar Pauli. Ausserdem: «Stundenlanges scrollen durch soziale Medien hinterlässt oft eine grosse Leere.»
Gesundheitsrisiken für einsame Jugendliche
Chronische Einsamkeit kann gesundheitliche Folgen haben. Eine aktuelle Studie von Oliver Hämmig vom Institut für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention der Universität Zürich untersuchte den Zusammenhang von Sozialen Beziehungen auf die Gesundheit. Das Resultat: Sozial wenig Integrierte weisen bis zu 13-fach erhöhte Gesundheitsrisiken auf. Besonders betroffen sind Jugendliche: Kaum oder zum Teil integrierte junge Menschen leiden gemäss der Studie zu 67 Prozent an Depressionen, die Hälfte ernährt sich in der Folge ungesund.
Liliana fühlt sich heute sozial integriert. «Meine beste Freundin hat mich gerettet.» Anderen Jugendlichen würde sie raten, so schnell wie möglich mit jemandem darüber zu sprechen und sich Hilfe zu suchen. Zum Beispiel hier: www.147.ch
Einsamkeit betrifft nicht nur junge Menschen. Jede dritte Person in der Schweiz gibt an, sich oft oder manchmal einsam zu fühlen. Wie es ist, mit diesem Gefühl zu leben, veranschaulichen drei Porträts in der «Rundschau».