Klatsch, Klatsch, Klatsch. Immer wieder empfingen Pflegerinnen und Pfleger in den letzten Wochen Applaus ab Balkonen für ihre Leistungen während der Corona-Krise. Der Pflegeberuf steht also hoch im Kurs. Jetzt. Sonst nicht.
In der Schweiz fehlen jedes Jahr tausende Nachwuchskräfte: Statt pro Jahr 6000 bildet die Schweiz nur 3000 junge Leute an den höheren Fachschulen aus. «Wir haben schlicht zu wenig ausgebildetes Personal. Einerseits mangelt es massiv an Nachwuchskräften, andererseits quittieren viele Pflegende den Beruf frühzeitig», sagt Yvonne Ribi, Geschäftsführerin des Berufsverbandes des Pflegepersonals.
Tatsächlich verlässt jede zweite Pflegerin oder Pfleger den Job, viele von ihnen noch bevor sie 35 Jahre alt sind. Das ist nichts weniger als eine tickende Zeitbombe, denn nach Berechnungen der Branche braucht die Schweiz bis 2030 65'000 Pflegende zusätzlich – ein Plus von 36%. Das vor allem wegen der zunehmenden Alterung der Gesamtbevölkerung. Schon heute kann die Schweiz den Bedarf an Pflegepersonal nur dank ausländischen Berufsleuten abdecken.
Enormer Arbeitsdruck
Die ständige Unterdotierung erzeugt enormen Arbeitsdruck beim Pflegepersonal. An diesen Pflegenotstand erinnert heute, dem internationalen Tag der Pflege, der Berufsverband. Yvonne Ribi sagt: «Die Politik muss endlich tätig werden. Es braucht dringend Investitionen in die Ausbildung, es braucht Investitionen in die Arbeitsbedingungen und bessere Voraussetzungen am Arbeitsplatz, vor allem was die Arbeitszeiten und den Stress betrifft.» Es fehle oft schlicht die Zeit für seriöse und beiderseitig erfüllende Arbeit.
Zu viel Nacht- und Wochenendarbeit
Zwar haben die Abschlüsse zur Ausbildung Fachfrau/Fachmann Gesundheit (FaGe) in den letzten Jahren zugenommen – die Aufgabe wirkt auf Jugendliche durchaus attraktiv -, aber zu wenige machen den Schritt zur höheren Fachausbildung. Hier fehlten sogar rund 60% des erforderten Nachwuchses. «Dienstpläne werden oft kurzfristig geändert, manchmal geht es sogar Richtung Arbeit auf Abruf», sagt Ribi. Ein Familienleben sei wegen der vielen Nacht- und Wochenendarbeit nur unzureichend zu leben und oftmals gebe es Zwölfstundenschichten.
Am Tag der Pflege fordern deshalb die Gewerkschaft Syna und der Berufsverband einen Gesamtarbeitsvertrag (GAV) für alle Pflegenden, landesweit. Sie erhoffen sich eine Verbesserung der beruflichen Situation und somit einerseits mehr Nachwuchs und andererseits weniger Abgänge. «Wir wollen die Branche ganzheitlich mit guten Arbeitsbedingungen versorgen», sagt Marco Geu von der Gewerkschaft Syna. «Umfragen zeigen, dass Institutionen mit GAV bei der Zufriedenheit der Mitarbeitenden immer besser abschneiden als solche ohne.
Initiative kommt vors Volk
Das zweite politische Instrument, das die Situation in der Pflege verbessern soll, ist die bereits eingereichte Volksinitiative «Für eine starke Pflege».
Die Volksabstimmung findet allerdings frühestens 2021 statt, und viele in der Gesundheitsbranche befürchten einen massiven Kostenschub, sollte die Initiative angenommen werden.
Ob mit oder ohne GAV, mit oder ohne Initiative: Die Pflegekosten werden in der Schweiz steigen, weil es mehr Personal braucht – günstig im Ausland angeworbenes oder etwas teurer in der Schweiz gefördertes und unterstütztes.