Rund eine halbe Million Frauen – und einige Männer – gingen am 14. Juni vor einem Jahr auf die Strasse. Am nationalen Frauenstreiktag forderten sie Gleichstellung im Alltag, mehr Frauen in Führungspositionen und in der Politik. Sie machten aufmerksam auf Gewalt gegen Frauen und auf die viele Arbeit, die Frauen unbezahlt oder schlecht bezahlt leisten.
Ein Jahr danach: Was hat der Streik gebracht, und was hat sich nicht erfüllt? Fünf ganz unterschiedliche Frauen antworten.
Yoshiko Kusano
Die Fotografin Yoshiko Kusano hat für den Frauenstreik 32 Berufskolleginnen mobilisiert. Sie hielten den weiblichen Blick auf den historischen Tag fotografisch für ein Buch fest.
- «Persönlich gehe ich mit einem gestärkten Selbstbewusstsein aus dem Frauenstreik. Ich fühle mich mutiger, heute meine Forderungen zu stellen. Forderungen, die leider immer noch nicht erfüllt sind. So sind zum Beispiel Sexismus und Gewalt an Frauen immer noch ein grosses Problem.»
Flavia Kleiner
Die Politikerin Flavia Kleiner hat am Frauenstreik mit der Bewegung «Helvetia ruft» für mehr Frauen in der Politik geworben.
- «Die Energie der Strasse hat ihren Weg definitiv in die Politik gefunden. Das macht Mutter Helvetia mächtig stolz. Noch nie wurden so viele Frauen ins Schweizer Parlament gewählt. Doch noch immer sind wir nicht die 50 Prozent, die wir in der Bevölkerung sind – als solche sollten wir doch repräsentiert sein in der Politik. Und uns Schweizerinnen und Schweizern muss man ja wohl nicht erzählen, was eine gute Demokratie ist.»
Liridona Dizdari-Berisha
Die Pflegefachfrau Liridona Dizdari-Berisha hat am Frauenstreik für bessere Arbeitsbedingungen demonstriert.
- «Die Arbeit von uns Pflegenden wurde durch den Frauenstreik und die Corona-Pandemie in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Wir Frauen werden nicht mehr schweigen, bis sich die Situation ändert. Wegen der knappen Stellenplänen haben wir immer weniger Zeit für unsere Patientinnen und Patienten, und viele steigen aus dem Beruf aus. Das muss sich ändern. Jetzt braucht es Taten statt Worte.»
Simonetta Sommaruga
Simonetta Sommaruga hat sich als Bundesrätin am Frauenstreik auf dem Bundesplatz solidarisch gezeigt.
- «Am Frauenstreik sind ganz viele Frauen auf die Strasse gegangen für ihre Anliegen. Lohngleichheit, Vereinbarkeit von Beruf und Familie: Das haben sie laut und deutlich gefordert, und das war gut. Wir haben gerade in der Coronakrise gesehen: Frauen arbeiten oft im Hintergrund, aber ihre Arbeit ist unverzichtbar. Deshalb werden wir Frauen unsere Forderungen weiter stellen, laut und deutlich.»
Elisabeth Joris
Die Historikerin Elisabeth Joris ist eine Vorkämpferin für Frauen- und Geschlechtergeschichte und hat bereits den zweiten nationalen Frauenstreik erlebt.
- «Aus Sicht der Historikerin hat der Frauenstreik die Frauen als politisch Handelnde gezeigt. Sowohl als Fordernde als auch als Widerständige. Es ist die grösste Demonstration, die es in der Schweiz so je gegeben hat. Und sie wird sich in das kollektive Gedächtnis und in die Geschichte der Schweiz einschreiben. Es gilt nun, diese Macht umzusetzen im Alltag und auf Gesetzesebene, für echte Gleichstellung.»