Sie gingen gerade erst in den Kindergarten, als vor gut zehn Jahren der damalige Anführer der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) in Teilen Syriens und des Iraks ein «Kalifat» ausrief. Und als einige den IS fünf Jahre später nach der militärischen Niederlage in der letzten Bastion im Städtchen Baghuz für besiegt erklärten, da drückten sie in der Primarschule die Schulbank. Jetzt sind sie Teenager und eine der grössten Sorgen europäischer Sicherheitsdienste, die gegen das offensichtliche Aufflammen islamistischen Terrors in Europa kämpfen.
Die Festnahmen Minderjähriger und junger Erwachsener in der Schweiz und Deutschland an Ostern, die nun bekannt wurden, sind das jüngste – aber wahrscheinlich nicht das letzte – Symptom einer Entwicklung, die sich seit mehreren Monaten beobachten lässt: IS-Verdächtige sind oft, wenn auch nicht ausschliesslich, minderjährig.
Der IS war nie wirklich weg
Für die Strafverfolgung bedeutet dies zusätzliche Herausforderungen, wie der Schweizer Bundesanwalt erst vor wenigen Tagen ausführte.
Es zeigte sich auch beim Messerangriff auf einen jüdischen Mann in Zürich mit aller Brutalität: Der IS, seine Propaganda, seine Unterstützerinnen und Unterstützer waren nie wirklich weg. Im Gegenteil: Ganz offenkundig ist eine neue Generation herangewachsen. Und das nicht ausschliesslich in Afghanistan, Mali, Somalia oder den Internierungslagern in Nordsyrien – sondern auch im Landkreis Soest in Nordrhein-Westfalen oder eben im Kanton Schaffhausen.
«Dem Internet» die Schuld zuschieben ist zu einfach
Das ist zu einem guten Teil auch mit Social Media zu erklären. Wie in anderen Lebensbereichen sind für manche Jugendliche Tiktok, Instagram oder Telegram-Chats allgegenwärtig. Daten, Tanzen, Shoppen, Kochen – und für einige auch die Suche nach Antworten. Die Liebe, das Leben, Religion. Längst sprechen Nachrichtendienste von «Influencer Predigern».
Die alleinige Schuld «dem Internet» zuzuschieben, wäre allerdings zu einfach. Schon vor zehn Jahren, als mit dem Krieg in Syrien die letzte Generation radikalisiert wurde, wurde gerne auf Online-Radikalisierung verwiesen – damals waren es noch Facebook und Youtube, wo Kämpfer aus Europa ihren vermeintlich heldenhaften Einsatz schilderten und junge Frauen vom angeblich so schönen Leben unter dem schwarzen Banner des IS schwärmten.
Jugendliche wollen offensichtlich einen Schritt weiter
Heute wissen wir, auch aus Gerichtsprozessen, von Aussagen von Rückkehrerinnen, wissenschaftlicher Forschung: Ja, Social Media können Radikalisierungsprozesse beschleunigen, und die heutigen Apps tun es möglicherweise nochmals intensiver als damals. Aber es ist auch deutlich geworden, dass nach wie vor physische Kontakte wichtig sind: Kollegen, Freundinnen, manchmal Imame. So ist es nicht überraschend, dass auch die beiden Verdächtigen aus Schaffhausen sich auch offline kannten.
Und wie sich beim Anschlag in Zürich zeigte und auch bei mehreren vereitelten Anschlagsplanungen im Ausland wie jetzt auch im Inland: Einige der jungen Generation begnügen sich nicht mit Likes und Posts von IS-Propaganda, sondern wollen offensichtlich einen Schritt weiter gehen.