Rituelle Gewalt und Gedankenprogrammierung ist eine umstrittene Theorie, an die einige Psychologinnen oder Psychiater glauben. Der Grund für die psychische Krankheit ihrer Patientinnen – oft betrifft es Frauen – ist für sie klar: Die Gedanken der Frauen werden bewusst gesteuert und programmiert.
Männer würden mich dazu bringen, Dinge zu tun, an die ich mich nicht mehr erinnern kann.
Sie sind überzeugt, dass die Frauen als Kind sexuell schwer missbraucht wurden, was ihre Persönlichkeit gespalten habe. Da kommt die Idee der Gedankenprogrammierung ins Spiel: Die Täter könnten die Gedanken durch die Programmierung fernsteuern. Dank dieser Kontrolle könnten sie die Frauen nach ihrem Belieben einsetzen – als Prostituierte oder Drogenkurierinnen.
«Die Therapeutin sagte mir, ich sei von meinem Vater missbraucht und als Baby für sexuelle Zwecke und Folter verkauft worden», erzählt eine Patientin, die wegen der Folgen dieser angeblichen rituellen Gewalt behandelt wurde.
Die Therapeuten glauben auch, die Frauen seien von den Tätern dazu gebracht worden, satanistische Rituale durchzuführen – etwa Blut zu trinken. Es gebe einen ganzen Täterring.
Das Problem: Es gibt keine Beweise, dass die betroffenen Frauen tatsächlich durch satanistische Täter missbraucht oder zur Prostitution gezwungen wurden. Die Frauen erinnern sich selbst nicht daran, dass dies passiert sein soll.
Für die betroffene Patientin ist klar: Die Geschichte entstand in der Therapie. Die Therapeutin habe ihr immer wieder gesagt, sie müsse verdrängte Erinnerungen hervorholen. «Ich habe erst vor einigen Monaten realisiert, dass die Geschichte gar nicht stimmt. Weil ich psychisch instabil bin, war ich wohl empfänglich dafür.»
Von Deutschland in die Schweiz
Dass solche umstrittenen Satanismus-Theorien in Deutschland Eingang in die Therapie gefunden haben, ist bekannt. Recherchen der SRF-Sendung «Rec.» zeigten, dass es auch in der Schweiz ein ganzes Netzwerk gibt, das von dieser Verschwörungserzählung überzeugt ist.
Die Theorie ist auch an Berner Kliniken verbreitet, zeigen Recherchen des Regionaljournals Bern. Betroffen ist die Privatklinik Meiringen. Der ärztliche Direktor Thomas Müller bestätigt, dass Fachleute in seiner Klinik Patientinnen wegen Folgen ritueller Gewalt behandelt haben. Die Klinikleitung habe das Problem erkannt und gehandelt. Seit zwei Jahren würden keine solchen Behandlungen mehr durchgeführt.
Weiterhin angewendet wird diese Theorie aber am Psychiatriezentrum Münsingen, bestätigen mehrere Mitarbeitende sowie Patientinnen und diverse Akten. Das PZM schreibt, man untersuche seit März entsprechende Therapien und habe bereits Massnahmen zur Qualitätssicherung eingeleitet.
Die Theorie rituelle Gewalt/mind Control ist in der Fachwelt höchst umstritten. Thomas Ihde, Präsident der Stiftung Pro Mente Sana: «Wir haben keinerlei Hinweise, dass es dies gibt.» Die Therapeutinnen und Therapeuten würden ihren Patientinnen helfen wollen, «sie sind aber felsenfest davon überzeugt und geraten in einen Aktionismus». Denn für sie sei es keine Verschwörungstheorie, sondern eine Verschwörungsgewissheit.
Für sie ist es eine Verschwörungsgewissheit.
Sie würden die Patientinnen teilweise unterstützen, Anzeige gegen mutmassliche Täter zu erstatten. Es würden auch Strafuntersuchungen durchgeführt. Ein Ermittlungserfolg, dass solche Täterkreise existieren, ist bisher nicht bekannt.
«Eine solche Theorie richtet einen grossen Schaden bei den Angehörigen an», sagt Ihde. Oftmals würden Väter beschuldigt, ihre Tochter massiv sexuell missbraucht zu haben und Teil eines satanistischen Netzwerks zu sein.