Treffpunkt ist eine umgebaute Militärbaracke auf einem Kieswerk bei Ronco im tief verschneiten Val Bedretto. Hier haben die Forscherinnen und Forscher des Bedretto-Labs ihr Materiallager, hier trinken sie ihren Kaffee und rüsten sich aus für den Gang ins Felslabor.
«Bei uns gelten ähnliche Regeln wie auf einer Baustelle», erklärt Marian Hertrich. Der Geologe der ETH Zürich ist der Manager des Labors. Helm und Leuchtkleidung sind Pflicht. Dazu kommt der Tunnelfunk, ein Selbstretter-Gerät mit Sauerstoffmaske und Schutzbrille, ein Gasdetektor und ein Badge, welcher die Position der Personen im Tunnel ermittelt.
Entsprechend ausgerüstet stapfen wir zum Tunneleingang. Aus dem schmalen Portal ragt ein dickes Lüftungsrohr, darüber wurde die Jahreszahl «1982» in den Zement gestanzt. Der Tunnel sei vor rund 40 Jahren als Seitenangriffsstollen gebaut worden, um schneller Material und Mineure aus der Baustelle für den Furka-Basistunnel zu schaffen, erzählt Hertrich. In den letzten Jahrzehnten war der Stollen aber in einen Dornröschenschlaf gefallen, bis 2018 die ETH Zürich den Antrag gestellt hat, darin ein Labor einzurichten.
Glasfaserkabel im Berg
Zu Fuss geht es nun zwei Kilometer in den Berg, durch ein dezent beleuchtetes, drei Meter breites und drei Meter hohes Loch. Auf den ersten hundert Metern tropft und fliesst Wasser von der Decke und von den unverkleideten Wänden. Hier am Anfang des Stollens gebe es mehr Felsklüfte, in welches Wasser eindringen könne, erklärt der Geologe, tiefer im Berg sei es trockener.
Den Stollen hätten sie umbauen müssen. So hätten sie die morschen Gleise entfernt und eine provisorische Fahrbahn eingebaut, erinnert er sich. Und sie hätten Glasfaserkabel eingezogen für die Internetanbindung der Computeranlage, Kabel für den Sicherheitsfunk, aber auch dicke Stromkabel, um im Berginneren schwere Maschinen bedienen zu können. «Das hat einige Millionen gekostet.»
Marian Hertrich bleibt plötzlich stehen und richtet seine Taschenlampe auf die Felswand. Über die Spanne von knapp einem Meter verändert sich das Gestein: «Das ist der Übergang vom Gneiss, der rund eine Milliarde Jahre alt und leicht laminiert ist, zum Granit.» Dieser sei vulkanischen Ursprungs, deutlich jünger und der Untergrund, den das Felslabor untersuche. Der Geologe strahlt: «Das ist fast einmalig, dass man diesen Übergang so deutlich sieht.»
Unser Ziel ist es, die Prozesse im Erdinnern besser zu verstehen und mit gezielten Stimulationen des Gesteins die Gefahr von Erdbeben zu minimieren.
Sie würden im Felslabor die tiefe Geothermie untersuchen, erklärt Hertrich auf dem weiteren Weg den Felswänden entlang Richtung Labor. «Dabei bohrt man zwei bis zu 5000 Meter tiefe Löcher in die Erde», erklärt er. In ein Bohrloch presse man kaltes Wasser. Dieses fliesse dann durch die Klüfte im Felsen, trete im zweiten Bohrloch als Dampf wieder zu Tage und könne als Wärme- oder via Dampfturbine als Stromquelle genutzt werden.
Diese Klüfte tief im Erdinnern müssen erst aber geschaffen werden. Durch Wasser, das unter hohem Druck ins Gestein gedrückt wird, werden bestehende Felskammern erweitert oder neue geschaffen. Gelingt dieser aufwändige und teure Prozess, können Betreiber über Jahrzehnte sehr günstig Energie erzeugen.
Doch gerade diese Klüftung schafft Probleme, da sie unweigerlich zu sogenannter Seismizität führt, zu Beben im Untergrund. Sind diese sehr stark, spürt man sie an der Erdoberfläche als Erdbeben. «Unser Ziel ist es, die Prozesse im Erdinnern besser zu verstehen und mit gezielten Stimulationen des Gesteins die Gefahr von Erdbeben zu minimieren.»
Das Felslabor selbst ist gut sechs Meter breit und 100 Meter lang. Hier kreuzten sich die Transportwagen der Stollenbahn – dahinter ein dunkles Loch ins Nichts. Auf der einen Seite stehen dicht gedrängt Paletten mit Material und Maschinen. Und hier zeigt sich eine Herausforderung des engen Tunnels: Transport und Lagerung von Material müssen genau geplant werden, um Platzprobleme im Labor zu vermeiden.
1000 Meter Fels über dem Kopf
Auf der anderen Seite des Laborschlauchs befinden sich Aggregate, ein Container und verschiedene Bohrlöcher. Forscherinnen und Forscher sitzen der Tunnelwand entlang an Tischen oder beugen sich über die Stutzen verschiedener Bohrlöcher. Zwei Löcher dienten für Versuche mit Wasser, das ins Gestein gepresst werde, erklärt Marian Hertrich. Die Bohrlöcher darum herum sind mit hochsensiblen Sensoren vollgestopft und sollen die Prozesse genaustens dokumentieren. Die Bedingungen seien ideal, schwärmt der Geologe. 2000 Meter im Berg mit 1000 Metern Fels über den Köpfen reichten Testbohrungen von wenigen hundert Metern, um ganz tiefe Bohrungen zu simulieren.
Bei einem Bohrloch sind Spezialisten gerade daran, Stahlgestänge aus der Tiefe zu ziehen. Sie bergen sogenannte Packer, Gummimanschetten, mit welchen das Bohrloch an beliebiger Stelle abgedichtet werden kann. Damit hätten sie den felsigen Untergrund gezielt mit Wasserdruck bearbeiten können, erklärt Hertrich. Das Ziel dieses – erfolgreichen – Versuchs war es, Problemzonen zu umgehen, die bei Belastungen zu stärkeren Beben führen könnten.
In den letzten Monaten und Jahren haben Forscherteams aus der ganzen Welt hier gebohrt, gemessen und Daten analysiert. Das Interesse an der Anlage wachse stetig, bestätigt der Forscher. «Ursprünglich planten wir drei wenig tiefe Bohrlöcher in zwei Jahren. Nun ist das Labor für zehn Jahre ausgelegt mit sieben Bohrlöchern in grösseren Tiefen.»
Neue Idee: der Fels als Batterie
Marian Hertrich ist überzeugt: Mit dem hier gewonnenen Wissen könne die tiefe Geothermie künftig deutlich sicherer genutzt werden. Kommt hinzu: Indem ganz genau festgelegte Bereiche von Bohrlöchern verwendet werden, könne das Gestein allenfalls auch als Energie-Speicher genutzt werden. Wasser, das mit überschüssiger, saisonaler Energie von Sonne oder Wind erwärmt worden ist, könnte in geringen Tiefen im Gestein einlagert und bei Bedarf wieder hochgepumpt werden.
Die Forschungen im Felslabor im Bedretto-Tal werden von der Geothermie-Branche mit grossem Interesse verfolgt. Bis die Laborresultate aus dem Berg aber in kommerzielle Geothermieprojekte umgesetzt werden können, dürfte es noch Jahre dauern.