- Die Schweiz hat im Jahr 2020 die höchste monatliche Übersterblichkeit aufgewiesen seit der Spanischen Grippe im Jahr 1918 – einschliesslich aller saisonalen Grippespitzen und Hitzewellen.
- Die monatlichen Spitzenwerte haben 2020 fast die Werte vom Januar 1890 erreicht, als die Russische Grippe ihren Höhepunkt verzeichnete, wie aus einer noch nicht begutachteten Studie von Forschenden der Uni Zürich und Bern hervorgeht.
- Während die Russische Grippe grassierte, ergriffen die Behörden hierzulande kaum Massnahmen, um die Ausbreitung einzudämmen.
Die Forschenden um den Historiker Kaspar Staub von der Universität Zürich und den Epidemiologen Marcel Zwahlen von der Universität Bern haben in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Statistik BFS über 140 Jahre zurückgeblickt: Sie verglichen monatsweise und aufgeschlüsselt nach Altersstruktur die tatsächlichen mit den erwarteten Todesfällen, die sich aus der Entwicklung der jeweils fünf vorangegangenen Jahre ergaben.
Das Resultat: Gemäss den Berechnungen lag die Übersterblichkeit 1890 übers ganze Jahr gesehen bei 6 Prozent, 1918 bei 49 Prozent, im 2020 bei 14 Prozent.
Corona-Pandemie hat «historische Dimension»
Für ihre Studie haben die Forschenden auch für Spanien und Schweden die Übersterblichkeit der mindestens letzten 100 Jahre ermittelt. In dieser Zeit wurde Europa nicht nur von der Corona-Pandemie und der Spanischen Grippe heimgesucht, sondern auch von der Asiatischen Grippe (1957), der Hongkong-Grippe (1968), der Chinesisch-Russischen Grippe (1977) und der Schweinegrippe (2009).
Demnach wiesen auch Spanien und Schweden im Jahr 2020 die höchste Übersterblichkeit seit der Spanischen Grippe auf, wobei die Jahre des spanischen Bürgerkriegs (1936-1939) nicht berücksichtigt wurden. «Die Ergebnisse verdeutlichen die historische Dimension der Corona-Pandemie», sagte der Historiker Staub im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.
Übersterblichkeit in verschiedenen Altersgruppen
Während die Pandemien der Jahre 1890 und 1957 alle Altersgruppen relativ gleichmässig betrafen, waren es während der Spanischen Grippe insbesondere junge Menschen – vor allem junge Männer – die verstarben.
Corona hat vor allem eine Übersterblichkeit bei älteren Menschen verursacht. In der Schweiz starben gemäss Zahlen des BFS nach dem Abklingen der zweiten Welle im Jahr 2021 weniger ältere Menschen als zu erwarten gewesen wäre.
Das könnte unter anderen daran gelegen haben, dass das Leben von manchen Covid-19-Toten nur um wenige Wochen oder Monate verkürzt wurde. Doch Letztere machten kaum mehr als ein Fünftel aus, vermutet Epidemiologe Zwahlen. «Diese nur um kurze Zeit vorgeschobenen Todesfälle erklären das Geschehen nicht.»
Tatsächlich bewegt sich die Kurve der Todesfälle seit Monaten wieder im Bereich des statistisch zu erwartenden Werts – wenn auch an der unteren Grenze.
Studie ist als Zwischenbewertung zu betrachten
Der Zürcher Historiker Staub weist darauf hin, dass die Studie nur als Zwischenbewertung angesehen werden könne. Noch sei die Pandemie nicht vorbei. Beispielsweise sei eine sogenannte «Echo-Welle» möglich, wie sie in den Jahren der Russischen Grippe sowie besonders ausgeprägt im Jahr 1920 nach dem Höhepunkt der Spanischen Grippe beobachtet werden konnte.
Zudem sei die Übersterblichkeit nur eine wichtige Kennzahl, um das Ausmass von Pandemien abzuschätzen, so Staub. Wichtig seien etwa auch die wirtschaftlichen, psychischen und andere gesundheitliche Folgen, wie etwa Long Covid.