Zum Inhalt springen

Todesstrafe in der Schweiz Wo früher Leute hingerichtet wurden, wird heute Fussball gespielt

Vor gut 80 Jahren fand die letzte Hinrichtung statt. Bis zum Verbot der Todesstrafe war es in der Schweiz jedoch ein langer Weg. 2010 kam sie gar nochmals aufs politische Parkett.

Frauenfeld, 29. November 1854: Jakob Hungerbühler wird frühmorgens zur Richtstätte gebracht. Dort erwartet den 24-Jährigen die Hinrichtung. Im Exekutionsbericht ist von einer «ungewöhnlich grossen Zuschauermenge» die Rede. Und: «Mit gewohnter Meisterschaft führte Scharfrichter Petermann von Altstätten den Schwertstreich und im Nu lagen Haupt und Rumpf des armen Sünders am Boden.»

Es sollte die letzte zivile Hinrichtung im Kanton Thurgau sein. Hungerbühler erhielt die Todesstrafe wegen Raubmordes: Es war in Sommeri TG, Hungerbühler brach nachts in eine Käserei ein, um Bargeld zu stehlen, und schlug mit einem Stein auf die Gebrüder Kessler ein. Der ältere, Josef Anton Kessler, verstarb dabei.

Nur sozial Schwächere unter den Verurteilten

Wo vor 170 Jahren die Hinrichtung Jakob Hungerbühlers vollzogen wurde, steht heute eine Sportanlage. Fussball spielende Kinder auf einem Rasen statt enthauptete Delinquenten auf einem Schafott. Elf Menschen wurden hier nach der Kantonsgründung 1803 hingerichtet – neun Männer, zwei Frauen. Die Delikte? Raubmord, Vatermord, Brandstiftung, Giftmord.

Fussballplatz
Legende: Die Frauenfelder Allmend: Wo früher Menschen hingerichtet wurden, wird heute Fussball gespielt. SRF/Marc Hanimann

Zivilstand, Konfession, Alter, kriminelle Vergangenheit – die Fälle unterscheiden sich. Etwas aber haben sie gemeinsam: Alle Getöteten gehörten zu den sozial Schwächsten, darunter waren Heimweber, Knechte oder Taglöhner. Viele der Verurteilten verloren früh mindestens einen Elternteil, eine ordentliche Bildung hatten die wenigsten.

Letzte zivile Hinrichtung fand 1940 statt

Die Hinrichtungen reihen sich ein in eine ganze Reihe von Todesurteilen in der Schweiz. Über 300 von ihnen wurden zwischen 1803 und 1874 vollstreckt, vom Ende der Helvetischen Republik bis zur Totalrevision der Bundesverfassung. Mit der Totalrevision der Bundesverfassung wurde die Todesstrafe im Schweizer Zivilrecht vorübergehend abgeschafft.

Stich einer Hinrichtung
Legende: Hinrichtungen in der Schweiz: ein Stich des Künstlers Théophile-Alexandre Steinlen. imago/Artokoloro

Schon die Bundesverfassung 1848 verbot die Todesstrafe, aber nur für politische Vergehen. In der Folge schafften einzelne Kantone die Todesstrafe gänzlich ab: Freiburg 1848, Neuenburg 1854, Zürich 1869, Tessin und Genf 1871, Basel-Stadt 1872, Basel-Land 1873 und Solothurn 1874.

Allerdings: Auch nach der Totalrevision der Bundesverfassung 1874 stoppten die Hinrichtungen nicht. Schon fünf Jahre später erhielten die Kantone durch eine Volksabstimmung das Gesetzgebungsrecht zurück. Appenzell Innerrhoden, Obwalden, Uri, Schwyz, Zug, St. Gallen, Luzern, Wallis, Schaffhausen und Freiburg machten in der Folge davon Gebrauch.

Bis zur letzten zivilen Hinrichtung in der Schweiz dauerte es noch lange. 1940 wurde Polizistenmörder Hans Vollenweider in der Strafanstalt Sarnen im Kanton Obwalden mit der Guillotine der Kopf abgeschlagen. Als das Schweizerische Strafgesetzbuch 1942 in Kraft trat, war damit die Todesstrafe landesweit aus dem zivilen Strafrecht verschwunden.

Letzte zivile Hinrichtung

Sie verschwand aber noch nicht aus dem Militärstrafrecht. Dort war sie bis 1992 verankert – für Delikte wie Landesverrat, Feind-Begünstigung, Mord und Plünderung. Die letzte Hinrichtung erfolgte 1944 während dem Zweiten Weltkrieg.

Volksinitiative von 2010 wollte Todesstrafe wieder einführen

Erst im Jahr 2000 wurde sie durch die Verfassung endgültig begraben. Wobei: 2010 sorgte ein Initiativkomitee international für Schlagzeilen. Es wollte die Todesstrafe bei sexuellem Missbrauch mit Mord in der Schweiz wieder einführen.

Das heftig umstrittene Volksbegehren bestand die formale Prüfung der Bundeskanzlei. Nur kurze Zeit später zog das Komitee die Initiative jedoch zurück. Man habe die Bevölkerung «auf die Missstände aufmerksam machen» wollen. Und das habe man erreicht.

Schweizer Aktionsplan für weltweite Abschaffung

Beim Bund ist man sich indes einig: «Die Schweiz lehnt die Todesstrafe kategorisch und unter allen Umständen ab und setzt sich für eine Welt ohne Todesstrafe ein.» So steht es im Aktionsplan Todesstrafe 2024–2027 des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten EDA.

Bund mit Aktionsplan für weltweite Abschaffung der Todesstrafe

Box aufklappen Box zuklappen
Reihe aus Fahnenstangen
Legende: Weltweite Angelegenheit: Die Schweiz setzt sich bei der UNO für eine Abschaffung der Todesstrafe ein. Im Bild: Der UNO-Hauptsitz in Genf. Keystone/Martial Trezzini

Die Schweiz setzt sich für die weltweite Abschaffung der Todesstrafe ein. Diese gehört deshalb auch zu den Zielen der Aussenpolitischen Strategie 2024–2027 des EDA.

Der entsprechende Aktionsplan sieht vor, die führende Rolle der Schweiz zu stärken und die dafür nötigen Mittel zu erläutern. Der Bund setzt dafür auf diplomatische Arbeit, will Staaten ermutigen, die Todesstrafe abzuschaffen oder zumindest einzuschränken oder auszusetzen.

Zusätzlich will die Schweiz bei entsprechenden UNO-Initiativen eine führende Rolle übernehmen und regionale Bestrebungen und Institutionen zu unterstützen. Das soll auch mithilfe von weiteren, gleichgesinnten Staaten geschehen.

Im aktuellen Aktionsplan wird aufgeführt, wie verbreitet die Todesstrafe weltweit noch ist. Per Ende 2023 sieht der Stand wie folgt aus:

  • 113 Staaten haben die Todesstrafe vollständig abgeschafft.
  • 9 Staaten haben die Todesstrafe für gemeinrechtliche Straftaten abgeschafft. Das heisst: Es gibt wenige Ausnahmen.
  • 27 Staaten haben die Vollstreckung der Todesstrafe ausgesetzt. Das heisst: Die Staaten verfügen zwar über die Todesstrafe, haben aber seit zehn Jahren keine Hinrichtung mehr durchgeführt und sich der UNO-Resolution für ein Hinrichtungsmoratorium nicht widersetzt.
  • 49 Staaten halten an der Todesstrafe fest.

Todesstrafe senkte nicht die Zahl der Verbrechen

Hauptstreitpunkt der Todesstrafe ist bis heute die abschreckende Wirkung – ob diese existiert oder nicht. Der Bund schreibt: «Bis heute fehlt der wissenschaftliche Nachweis, dass die Todesstrafe eine grössere abschreckende Wirkung auf potenzielle Straftäterinnen und Straftäter hat als andere schwere Strafen.»

Sie sei daher kein wirksames Instrument zur Prävention oder Bekämpfung von Kriminalität, Gewalt und gewalttätigem Extremismus. «Zudem mag die Todesstrafe zwar das Bedürfnis nach Vergeltung befriedigen, bringt aber keine Wiedergutmachung für die Opfer von Verbrechen und ihre Angehörigen.»

In Zeiten, in denen nicht hingerichtet wurde, gibt es nicht mehr oder weniger Verbrechen.
Autor: Romy Günthart Historikerin

Die Abschreckung funktioniere nicht, sagt auch Romy Günthart, Historikerin an der Universität Zürich. Und damit zurück in die Schweiz, in den Kanton Thurgau und zur Hinrichtung von Jakob Hungerbühler. Günthart dokumentiert in ihrem Buch «Verurteilt zur Strafe des Schwertes» Hungerbühlers Fall sowie die zehn anderen Todesurteile im Kanton.

Sie sagt: «Man kann in Zeitungsberichten nachlesen, dass bei der Exekution des ersten Verbrechers zwei andere dabei waren.» Diese sollten durchs Zuschauen geläutert werden. Doch die Abschreckung funktioniert nicht. «In Zeiten, in denen nicht hingerichtet wurde, gibt es nicht mehr oder weniger Verbrechen, die todesstrafwürdig wären.»

Verschiedene Methoden für verschiedene Delikte

Der Abschreckung wie auch der Sühne sollte die Todesstrafe im Mittelalter dienen: Leuten, die raubten, stahlen, vergewaltigten, Brände legten, Ehebruch begingen oder der Ketzerei und Zauberei angeklagt wurden. Je nach Delikt wurden unterschiedliche Methoden angewandt. Ketzer, Zauberer und Hexen wurden verbrannt, Mörder gerädert, Diebe gehängt. Bei weiblichen Verurteilten verbreitet: lebendiges Begraben oder Säcken, eine alte römische Form der Hinrichtung, bei der Menschen in einem Fass oder Sack ertränkt wurden.

Die Enthauptung durch das Schwert galt als privilegierte Todesstrafe, da dies nicht als entehrend gesehen wurde. Wie bei Jakob Hungerbühler, der wegen Raubmordes anno 1854 in Frauenfeld geköpft wurde. Dort, wo Kinder heute Fussball spielen.

Regionaljournal Ostschweiz, 7.10.2024, 17:30 Uhr;gygm;kobt

Meistgelesene Artikel