Nur rund eine Stunde dauerte vergangenes Jahr die Appenzeller Landsgemeinde, die traditionell am letzten Sonntag im April stattfindet. Der wichtigste politische Tag des Jahres, an dem Wahlen anstehen und an dem unter freiem Himmel per Handmehr über Geschäfte abgestimmt wird, dürfte dieses Jahr länger dauern.
Während das Mandat letztes Jahr noch rekordverdächtig wenige 60 Seiten umfasste, sind es für den 28. April jetzt 190 Seiten. Fast die Hälfte davon ist mit einem Geschäft gefüllt: der Totalrevision der Kantonsverfassung. Es ist die erste in der 152-jährigen Geschichte. Mehrere Dutzend Mal wurde sie teilrevidiert.
Der Begriff Totalrevision ist insofern etwas trügerisch, als die Verfassung gemäss der Regierung keinen grossen inhaltlichen Änderungen unterzogen wird. Sie wird nach den vielen Teilrevisionen vor allem sprachlich überarbeitet, übersichtlicher gemacht, präzisiert, es werden Lücken geschlossen oder Dinge entfernt, die wegen des Bundesrechts nicht mehr nötig sind.
Mehr Finanzkompetenz für die Regierung
Trotzdem gibt es mehrere materielle Änderungen: Einer der umstrittenen Punkte in der neuen Verfassung ist die höhere Finanzkompetenz der Regierung. Neu sollen erst Projektkredite ab zwei Millionen Franken vor die Landsgemeinde kommen, bislang lag die Grenze bei einer Million.
Bei Ausgaben zwischen einer Million und zwei Millionen Franken kann ein Entscheid der Landsgemeinde durch ein Referendum herbeigeführt werden. Für Ausgaben zwischen einer halben und einer Million Franken soll künftig der Grosse Rat abschliessend zuständig sein. Die Regierung begründet die Anhebung mit der Teuerung und dem höheren Steuersubstrat. Dieses liegt heute fast doppelt so hoch wie vor 20 Jahren.
Weitere Punkte, die zu Diskussionen führen könnten, sind die neue Notrechtsregelung – ein Learning aus der Pandemie –, ein verkürzter Amtszwang, sowie das Stimmrecht für alle – also zum Beispiel auch für urteilsunfähige Menschen.
Kritik von SVP und SP
Das Kantonsparlament, der Grosse Rat, winkte die neue Verfassung mit 47 Ja-Stimmen bei einer einzigen Nein-Stimme durch. Trotzdem gibt es Kritik an verschiedenen Punkten, vor allem von Parteien, die nicht im Grossen Rat vertreten sind, namentlich die SP und die SVP. Beide beschlossen die Nein-Parole.
Die Parteien stören sich unter anderem daran, dass in der neuen Verfassung das Wahlsystem nicht von Majorz zu Proporz angepasst wird. Dadurch würden kleinere Parteien grössere Chancen erhalten, in den Grossen Rat einzuziehen.
Die Innerrhoder Politik wird massgeblich von Verbänden mitgeprägt. Die beiden wichtigsten, die Arbeitnehmervereinigung und der Gewerbeverband, haben sich für die Totalrevision der Kantonsverfassung ausgesprochen.
Wiederwahl der Regierung
Neben den Sachgeschäften kommt es zu den Wahlen für die Standeskommission, die Innerrhoder Regierung. Auch Bau- und Umweltdirektor Ruedi Ulmann dürfte wiedergewählt werden. Er stand zuletzt in der Kritik, in seinem Departement funktioniere nicht alles gut, ein Bericht im letzten Herbst entlastete Ulmann aber teilweise.
Das dürfte allfälligen Gegenkandidaturen den Wind aus den Segeln genommen haben. Aber: Die Dynamik an der Landsgemeinde ist speziell. Ein Votum auf dem Stuhl – dort, wo alle Anwesenden das Wort ergreifen können – mit Emotionen verknüpft, kann Auswirkungen auf eine Abstimmung oder Wahl haben.