- Vor drei Jahren haben Schweizer Grenzwächter eine schwangere Syrerin nach Italien zurückgeschafft.
- In der Folge erlitt die Frau eine Totgeburt – der Fall machte landesweit Schlagzeilen.
- Jetzt hat die Militärjustiz ein Verfahren gegen den verantwortlichen Grenzwächter eröffnet.
Am 4. Juli 2014 versucht die Familie aus Syrien von Italien via Schweiz nach Frankreich zu gelangen. Die Franzosen übergeben die Familie dem Schweizer Grenzwachtkorps. Die Grenzwächter transportieren sie per Kleinbus nach Brig und von dort im Zug nach Domodossola.
Seiner Frau, im siebten Monat schwanger, sei schon im Bus schlecht gewesen, erzählt der Mann damals gegenüber SRF. In Brig sei die Familie in eine Zelle gebracht worden. Seine Frau lag am Boden, sie blutete und verlor Fruchtwasser.
Der Mann rief nach einem Arzt, nach einem Krankenwagen. Seine Frau sei schwanger, sagte er auf englisch. Und bot in seiner Verzweiflung sogar Geld für eine Behandlung. Doch die Grenzwächter reagierten nicht.
Die zuständigen Personen haben damals die notwendigen Hilfeleistungen unterlassen
Die Familie muss in den Zug nach Domodossola. Dort bricht die 22-jährige Frau auf dem Perron zusammen und bringt im Spital ihr Kind tot zur Welt. Nun hat die Militärjustiz Anklage erhoben, sie bestätigt einen Bericht der NZZ. Vor Gericht kommt der damals verantwortliche Tagesleiter der Grenzwache.
Ein komplizierter Fall
Die Anwältin der betroffenen Familie, Dina Raewel, ist erleichtert: «Die zuständigen Personen haben damals die notwendigen Hilfeleistungen unterlassen.» Und damit die Gefährdung des Lebens der Mutter in Kauf genommen – und möglicherweise auch den Tod des Kindes, so die Anklageschrift.
Offen bleibt, wann das Kind im Bauch der Mutter gestorben ist. Auch die Frage, ob die Bauchschmerzen bereits die sogenannten Eröffnungswehen waren, ist ungeklärt. Denn erst ab diesem Zeitpunkt gilt das ungeborene Kind juristisch als «am Leben».
Es ist ein komplizierter Fall. Doch für die Anwältin ist klar: Der angeklagte Grenzwächter hätte in Brig die Mutter ins Spital bringen müssen: «Auch wenn das Kind vielleicht schon tot war: Durch das Nichthandeln hat der Grenzwächter zumindest in Kauf genommen, dass das Kind stirbt.» Es habe sich aus ihrer Sicht zumindest um versuchte Tötung gehandelt.
Familie findet keine Ruhe
Darüber werden die Richter der Militärjustiz im Herbst befinden. Die syrische Familie lebt heute in Italien. Die Situation sei noch immer belastend, so Anwältin Raewel: «Das Verfahren läuft noch. Es gibt Gutachten, Briefe – ich bin in ständigem Kontakt mit der Familie. Sie wird dauernd an die Tragödie erinnert.»
Das Grenzwachtkorps nimmt derzeit nicht Stellung zum Verfahren. Es teilt mit, die medizinische Versorgung der Flüchtlinge sei unterdessen verbessert worden. So, dass ein tragischer Fall wie jener von 2014 nicht mehr passieren sollte.