«Wir verzweifeln schier, wir Einheimischen haben in Lauterbrunnen einfach keinen Platz mehr», sagt eine Einwohnerin von Lauterbrunnen (BE). Die Gemeinde ächzt unter den Touristenströmen. Die Erfahrungen dieses Sommers brachten das Fass zum Überlaufen.
Die Gemeinde sah sich genötigt, der Einwohnerschaft das Wort zu geben. Sie veranstaltete am Mittwochabend eine Bezirksversammlung, eine «Chropf-Läärete», wie Gemeindepräsident Karl Näpflin es nannte.
Ich habe das Gefühl, dass ich neben einer Autobahn wohne.
Für den Verkehr sind Tagestouristen problematisch, diese kommen vor allem wegen des höchsten frei fallenden Wasserfalls der Schweiz: «Sie kommen mit dem Mietauto, fotografieren den Staubbachfall und gehen dann wieder.» Das führt zu Verkehrschaos: «Ich habe das Gefühl, dass ich neben einer Autobahn wohne, die Leute fahren rein ins Tal und wieder raus. Das ist lästig», beklagt sich ein Anwohner an der Versammlung.
Tatsächlich staut sich der Verkehr im Tal oft lange. Warum nicht einfach eine Schranke bauen? «Das wäre wünschenswert, ist aber nicht umsetzbar», sagt der Gemeindepräsident von Lauterbrunnen, Karl Näpflin. «Zum einen fehlt die gesetzliche Grundlage, die Kantonsstrasse mit einer Schranke anzuhalten, zum anderen ist es im Tal schlicht zu eng.»
Schwierige Gäste und enttäuschte Ansässige
Neben den verstopften Strassen und vollen Parkplätzen verhielten sich einige Gäste problematisch: «Die Leute gehen nicht weg auf dem Trottoir und die Strassen sind vollgestopft», sagt eine Teilnehmerin, eine andere fügt an: «Gerade alte Leuten wissen sich kaum mehr zu helfen.» Ein dritter Einwohner beklagt sich über den Müll, der überall herumliege.
Touristen haben auf dem Friedhof Fussball gespielt und Fotos gemacht, das geht nicht.
Auch Karl Näpflin erzählt von Ereignissen aus seiner Gemeinde: «Auf unserem Friedhof haben Touristen Fussball gespielt und zwischen den Gräbern stehend und liegend Fotos gemacht. Das hat uns gar nicht gepasst.» Sogar in Privathäusern habe es schon Vorfälle gegeben: «Heute muss man die Haustüre abschliessen, wenn man kurz in den Garten geht. Sonst sitzen plötzlich Fremde auf dem eigenen WC.»
Die Leute fühlen sich wie Angestellte in einem Freizeitpark.
Der Dorfpfarrer Markus Tschanz bringt die Sorgen vieler Leute auf den Punkt: «Wir fühlen uns wie Angestellte in einem Freizeitpark. Sogar der Schreiner muss alle Sprachen können und ist zum Tourismusmitarbeiter geworden. Der Sache entfliehen können wir nicht, denn wir wohnen hier.»
Man spürt die Hilflosigkeit der Leute. Wie versucht die Gemeinde die Probleme, die der Tourismus mit sich bringt, abzufedern? Sie stellte Plakate und Flyer mit Verhaltensregeln auf. Auch Personen, die den Verkehr regeln, gibt es.
Man habe auch zwölf mobile WCs aufgestellt. Letzteres sei zum Teil verboten gewesen, da manche WCs nicht in entsprechenden Zonen installiert wurden. «Das Ziel ist es nicht. Für Sofortmassnahmen mussten wir aber kurz illegal handeln», sagt Karl Näpflin.
«Dauerhafte Lösungen sind das nicht. Wir müssen die Leute bereits abholen, bevor sie in die Jungfrauregion kommen. Sie müssen unsere Regeln und Verhaltensweisen im Tal kennen, nur so können sie ihren Aufenthalt mit uns verbringen», so Näpflin.
Als Dauerlösung seien zum Beispiel Eintritte mit Ticket und Schranke für den Staubbachfall geplant. Weitere Lösungen wolle man zusammen mit den Jungfraubahnen, dem grössten Tourismusplayer in der Region, ausarbeiten. Wie diese konkret aussehen könnten, konnte Karl Näpflin jedoch auch nach der Bezirksversammlung nicht sagen.