Das Prinzip ist seit Jahrzehnten bekannt und denkbar einfach: Ein Gast bezahlt zwei Kaffees, trinkt aber nur einen. Die zweite Tasse kommt jemandem zugute, der sich keinen Kaffee leisten kann. Es ist eine einfache Geste der Solidarität, mit der armutsbetroffene Menschen ein Stück mehr am öffentlichen Leben teilhaben können.
Um den «Caffè sospeso» in der Schweiz bekannter zu machen, wurde 2014 ein entsprechendes Projekt lanciert. Dahinter steht der Verein Surprise, der das gleichnamige Strassenmagazin herausgibt und sich für sozial benachteiligte Menschen einsetzt. Der «Caffè sospeso» wird vom Verein als «Café surprise» bezeichnet und mittlerweile von rund 90 Schweizer Gastrobetrieben angeboten. In Chur sollen nun weitere zwölf Bars und Restaurants dazukommen, teilt der Verein mit.
Neue «Hochburg» des solidarischen Kaffees
In der Bündner Kantonshauptstadt wird das Surprise-Projekt unter anderem vom Evangelischen Hilfsverein (EHV) unterstützt. Dieser beteiligt sich im ersten Jahr an jedem «Café surprise» mit zwei Franken. Somit entfallen auf die Kaffeespenderinnen und Kaffeespender pro zusätzliche Tasse noch zwei Franken und 50 Rappen.
Gastrobetriebe, die am Projekt teilnehmen, sind mit einem Logo an der Eingangstüre gekennzeichnet. Die spendierten Kaffees würden gut sichtbar auf einer Tafel notiert und könnten «ohne Rechtfertigung und diskret» bestellt werden, heisst es in der Mitteilung von Surprise weiter. Und: Chur mausere sich nun zu einer «Hochburg von Café surprise». In der Stadt Zürich etwa beteiligten sich zwar gleich viele Gastrobetriebe am Projekt – allerdings bei rund zwölfmal mehr Einwohnerinnen und Einwohnern.
Armut ist nicht immer sichtbar
Bis sich der «Café surprise» in Chur etabliere, brauche es wohl seine Zeit, sagt Corina Pfiffner, Präsidentin des Hilfsvereins Chur. Sie sei aber überzeugt, dass die Nachfrage nach einem solchen Angebot vorhanden sei, und man werde laufend schauen, ob es Anpassungen brauche: «Vielleicht wird es Gourmet-Restaurants geben, die mehr Spenden haben, und andere wiederum – beispielsweise ein kleines Restaurant in einem Quartier – mehr Konsumenten. Dann müssten wir eine Lösung für eine Umverteilung finden», so Pfiffner.
Auch bei der Churer Bürgergemeinde ist man sich sicher, dass es Abnehmerinnen und Abnehmer für die «Café surprise» geben wird. «Man sieht den Leuten nicht immer an, dass sie von Armut betroffen sind. Ich gehe davon aus, dass das Problem bei uns nicht kleiner ist als in anderen Städten», sagt Bürgermeister Andreas Brunold. Er könne sich gut vorstellen, dass gerade in den kälteren Monaten die eine oder die andere armutsbetroffene Person gerne für eine Tasse Kaffee an die Wärme kommt. «Und so kann man diese Personen auch besser ins gesellschaftliche Leben integrieren.»