«Die Cherze brännt für mis Mami.»
«Die Cherze brännt für min Papi.»
«Die Cherze brännt für min Brüeder.»
Ein regnerischer Abend in Wohlen im Kanton Aargau. Während es draussen stürmt, sitzen im Aufenthaltsraum einer Überbauung ein Dutzend Kinder in einem Kreis. Sie reichen eine Grabkerze herum und sprechen ihren Verlust laut aus. Das jüngste Kind ist vier, das älteste elf Jahre alt.
Autounfall, Krebs, Suizid. Bei manchen ist der Schicksalsschlag Monate oder Jahre her, bei einigen erst wenige Wochen.
Einmal im Monat treffen sich die Kinder hier zusammen mit Trauerbegleiterinnen. Sie gedenken der verstorbenen Mutter, dem Vater, dem Geschwister.
Sie sind traurig, aber nicht nur. Es wird gelacht, gespielt – und der Verlust auf kreative Weise thematisiert. Mal wird das Lieblingsessen der Mutter gekocht, die nicht mehr da ist. Mal Grabschmuck gebastelt oder eine Erinnerungsbox an den verstorbenen Vater.
Von Kindern erwartet man manchmal, dass sie möglichst bald wieder funktionieren.
Die Kinder in ihrer Trauer eng zu begleiten, sei essenziell, sagt Katharina Keel. Sie leitet die Gruppe in Wohlen, ist Präsidentin des Vereins «Familientrauerbegleitung» und macht die Erfahrung, dass Kinder oftmals vergessen gehen.
«Der verbliebene Elternteil ist mit der eigenen Trauer beschäftigt», stellt Katharina Keel fest. Die Gruppe helfe den Kindern, gesehen zu werden und zu sehen, dass andere auch einen Elternteil verloren haben. Eine Schicksalsgemeinschaft.
Zu dieser gehören auch Robin (7) und seine Schwester Leonie (5). Seit einiger Zeit besuchen sie die Gruppe in Wohlen. Sie freuen sich jedes Mal auf den gemeinsamen Abend mit den anderen Kindern. Gut anderthalb Jahre ist es her, seit sich ihr Vater das Leben genommen hat.
Besuch auf dem Friedhof einer kleinen Aargauer Gemeinde. Hier liegt der Vater von Robin und Leonie. Die Geschwister besuchen ihn nur unregelmässig. Für sie ist klar: Papi ist nicht mehr hier unten, sondern oben, ein Stern im Himmel. Ab und zu suchen sie das Gespräch mit ihm:
«Ich frage ihn, wie es ihm geht. Und wie es wohl aussieht im Himmel». (Robin)
«Ou ja, das wäre spannend, wenn wir auch einmal im Himmel sein könnten. Dann wüssten wir, wie es dort aussieht.» (Leonie)
«Dass er ein Haus aus Wolken hat und er jeden Tag das Essen aus den Wolken wünschen kann.» (Robin)
Über den Tod reden, die Kinder miteinbeziehen. Das war der Mutter von Robin und Leonie sehr wichtig. «Für den Trauerprozess ist es sicher nicht optimal, wenn man das Gefühl hat, man müsse die Kinder schützen, und sie aussen vor lässt», sagt Melanie Zihlmann, welche in der Öffentlichkeit unter ihrem ledigen Namen auftritt.
Den Kindern helfe es, wenn man sie von Anfang an involviere. Robin und Leonie haben ihren toten Vater gesehen, durften ihn anfassen, sich verabschieden, den Grabstein mitgestalten. In der Trauerbegleitung haben sie gelernt, was im Körper passiert, wenn man stirbt.
Robin und Leonie merkt man an, dass sie trauern durften – zu Hause, aber auch in der Trauergruppe. Dort gefällt es ihnen:
«Sehr. Weil dann weiss ich, dass ich, Leonie und das Mami nicht die einzigen sind, die jemanden aus der Familie verloren haben. Das finde ich schön.» (Robin)
«Weil wir sehen ihn jetzt nie wieder. Also erst, wenn wir auch tot sind, aber das dauert ja noch mega lang – hoffe ich.» (Leonie)