180 Beschwerden gingen im letzten Jahr beim Schweizer Presserat ein. Das sind 50 Prozent mehr als im Vorjahr. Und da die Corona-Pandemie seit einem Jahr das dominierende Thema ist, überrascht es wenig, dass insgesamt über 30 Prozent der Beschwerden die Pandemie-Berichterstattung betrafen, wie Ursina Wey, Geschäftsführerin des Presserats, sagt.
Das kostenlose UBI-Verfahren musste auch als eine Art Blitzableiter herhalten.
Dominant war das Thema auch bei den Beschwerden, die bei der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI) eingingen. Das Interesse an den Radio- und Fernsehprogrammen sei während der Pandemie deutlich gestiegen.
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Hörerinnen und Zuschauer hätten besonders genau hingehört und – geschaut, stellt UBI-Präsidentin Mascha Santschi fest: «Beim Lesen der Beschwerden spürte man oft auch den Frust über die Situation. Das drückte sich einem gehässigen Ton und unsachlichen Angriffen auf Personen aus. So musste das kostenlose UBI-Verfahren letztes Jahr auch als eine Art Blitzableiter herhalten.»
Beschwerden beim Presserat und bei der UBI kosten nichts, die Schwelle ist also niedrig. Kritisiert an Radio- oder Fernsehbeiträgen wurde oft der Umgang mit Personen, die sich an Anti-Corona-Demonstrationen beteiligten oder sich sonst kritisch zu den Corona-Massnahmen äusserten.
Dazu sagt Santschi: «Wenn die Kritiker der Corona-Massnahmen von den Medien quasi allesamt in die Ecke von Rechtsextremen, Querulanten, Esoterikern oder Verschwörungstheoretikern gestellt werden, ist das für den sozialen Frieden in unserem Land nicht gut.»
Weniger Beschwerden gutgeheissen
Doch der Rekord an Beschwerden gegen Medienberichte führte nicht dazu, dass besonders viele Beschwerden anerkannt worden wären – im Gegenteil. Es seien tendenziell eher weniger Beschwerden gutgeheissen worden, sagt Ursina Wey vom Schweizer Presserat: «Die überwiegende Mehrheit der Beschwerden war unbegründet.»
Der Diskurs mit kritischen Menschen wird noch zu wenig medial geführt.
Sowohl der Presserat als auch die UBI stellen den Journalistinnen und Journalisten alles in allem ein gutes Zeugnis aus: Sie hätten im Schnitt sorgfältig gearbeitet und sachlich über die Pandemie und ihre Folgen berichtet.
Mehr Bühne für Corona-Skeptiker?
Diesen Befund stützt Medienwissenschaftler Mark Eisenegger, der das Jahrbuch «Qualität der Medien» herausgibt. Der Professor der Universität Zürich sieht trotzdem Kritisches. Zwar berichteten die Zeitungen und Radio- und Fernsehsender gerne über Anti-Corona-Demonstrationen. Oft aber ohne eine tiefere Auseinandersetzung mit den Demonstrantinnen und Demonstranten: «Da könnten sich die Medien durchaus noch mehr engagieren, um auch kritischen Stimmen eine Bühne zu verschaffen. Der Diskurs mit kritischen Menschen wird noch zu wenig medial geführt.»
Sonst könnten sich Skeptiker vermehrt von den traditionellen Massenmedien abwenden und sich stattdessen nur noch durch YouTube-Videos informieren und in WhatsApp-Gruppen austauschen, gibt Eisenegger zu bedenken: «Letztlich ist das für unsere Gesellschaft viel kontraproduktiver, wenn wir mit diesen Leuten nicht mehr in Kontakt stehen.»