Cowboystiefel, grünes Kleid, Lederjacke: Die 48-jährige Bitten Stetter fällt auf im Zürcher Stadtspital Waid. Früher entwarf die Modedesignerin Kleider für die Laufstege in Paris, heute Spitalhemden. Damit will sie Farbe in den sterilen Spitalalltag bringen. Gerade auf die Palliativstation, wo aus ihrer Sicht zu stark aufs Sterben fokussiert wird.
Im Spital hat es genug Funktionales. Was fehlt, ist das Ästhetische.
Patientinnen und Patienten dort sollen nicht alle in den immer gleichen, weissen – aber halt auch praktischen – Spitalhemden stecken müssen. Bitten Stetter beschäftigt sich auch für ihre Forschung an der Zürcher Hochschule der Künste mit Tod und Design. Sie sagt: «Funktionalität hat es genug im Spital. Was fehlt, ist der individuelle Zugang, das Persönliche.»
Das will Bitten Stetter ändern. Und eine neue Ästhetik in diese Abteilung bringen. So hat sie im Waidspital etwa den ehemaligen «Raum der Stille» umgewandelt in ein «Care Atelier». Stille gebe es genug im Spital. «Es braucht eher eine Aktivierung, damit die Menschen hier nicht in eine Starre verfallen.»
In diesem Care Atelier können Patientinnen oder Angehörige beispielsweise etwas basteln. Bitten Stetter hat Faltbögen entwickelt, aus denen Mobiles entstehen, die man über das Bett hängen kann. Oder eine «Bettbox» für persönliche Gegenstände. Diese vermeintlichen Kleinigkeiten sollen dem Persönlichen mehr Platz verschaffen.
Selber gepflegt – und selber in der Pflege gearbeitet
Auf das Thema Sterben gekommen ist Bitten Stetter, die in Norddeutschland aufgewachsen ist und seit Jahren im Zürcher Seefeld wohnt, aus einem persönlichen Grund. Ihre Mutter ist vor zehn Jahren an Krebs erkrankt. Gemeinsam mit ihrem Bruder hat sie sich bis zuletzt um sie gekümmert.
«Als Angehörige wurde ich plötzlich in eine völlige fremde Welt katapultiert. Unweigerlich fragte ich mich als Designerin, warum die Dinge im Spital so aussehen, wie sie aussehen.» Ihre Erkenntnis: Alles ist auf Effizienz ausgelegt, auf «Stapelbarkeit», wie Bitten Stetter sagt.
Warum ist am Ende des Lebens alles auf Uniformität und Stapelbarkeit ausgelegt?
Im Rahmen eines breit angelegten Forschungsprojekts ist Bitten Stetter aktuell daran, unsere Perspektive auf die letzte Lebensphase zu untersuchen.
Und Bitten Stetter hat selber drei Monate in der Pflege gearbeitet. Um auch die Sicht des Pflegepersonals kennenzulernen.
Was ihr offenbar gelungen ist. Bei der Stationsleiterin des Palliativzentrums im Waidspital, Noemi Lehmann, kommen die Produkte gut an: «In der Pflege hat das Schöne wenig Platz. Da sind wir froh um die Ansätze von Bitten Stetter.»
Projekt steht noch am Anfang
Und auch die Patientinnen hätten Freude, so Lehmann. Allerdings stünde das Projekt noch am Anfang: «Es ist ein Ausprobieren mit den Patienten. Viele kommen von alleine nicht auf die Idee, dass so etwas Platz hat im Spital. Aber wenn man sie ermutigt, haben sie viel Spass am Basteln.»
Bei uns ist alles auf Effizienz getrimmt. Das Projekt zeigt uns die blinden Flecken.
Auch der Leiter der Palliativabteilung, Roland Kunz, ist angetan. «Es ist eine grosse Chance, dass jemand mit einer anderen Perspektive auf unsere Arbeit blickt.» Dadurch sei ihm klar geworden, dass nicht nur das Medizinische wichtig ist, sondern auch, dass sich die Menschen wohlfühlen.
Das Forschungsprojekt «Sterbesettings» läuft noch bis im Sommer 2023. Bitten Stetter hofft, dass durch ihre Arbeit das Individuelle mehr Platz erhält in der Palliativpflege. Denn es könne nicht sein, dass «in unserer Gesellschaft am Ende des Lebens alles auf Pragmatismus, Uniformität und Stapelbarkeit ausgelegt ist.»