Gabriele Petralia-Grimm ist 15, als sich ihr Vater das Leben nimmt. Er leidet während mehreren Jahren unter einer Depression, ist schwer krank. Gabriele Petralia-Grimm weiss das. Dass sich der Vater dann aber das Leben nimmt, kommt für alle sehr überraschend.
Giordano Giannoccolo ist 21, als ihn der Vater in der Schule anruft und sagt, er müsse nach Hause kommen. Einen Grund nennt er ihm nicht.
«Das war sehr komisch. Normalerweise sagte mir mein Vater immer, was los ist. Ich wusste sofort: Etwas Schlimmes muss passiert sein», erinnert sich Giordano Giannoccolo. Seine Vermutung bestätigt sich. Der Vater sagt ihm, dass seine Mutter Suizid begangen hat.
Meine Welt blieb stehen.
Den Suizid seiner Mutter kann Giordano Giannoccolo in den ersten Tagen kaum realisieren. Die Situation ist surreal für ihn: «Meine Welt blieb stehen.»
Am Tag nach dem Tod seiner Mutter trifft sich Giordano Giannoccolo mit einer guten Kollegin. «Als wir lachende Kinder auf einem Spielplatz sahen, konnte ich in diesem Moment nicht nachvollziehen, dass andere Menschen Freude haben können am Leben, während ich soeben meine Mutter verloren hatte.» Um den Verlust zu realisieren und sich zu verabschieden, besucht Giordano Giannoccolo ein paar Tage später seine Mutter in der Aufbahrungshalle des Friedhofs.
Der Vater von Gabriele Petralia-Grimm ist nicht der einzige in der Familie, der sich das Leben nimmt. Auch die Grossmutter und die Tante begehen Suizid. Und als Gabriele Petralia-Grimm 30 ist, scheidet ihre Grosstante so aus dem Leben.
Ich kann mit dieser Situation umgehen, es ist ein Teil von mir geworden, den ich akzeptiere.
Gabriele Petralia-Grimm geht in die Gesprächstherapie, besucht eine Selbsthilfegruppe von Suizidhinterbliebenen. Diese Therapieformen sind sehr wichtig für sie, dadurch findet sie wieder zurück ins Leben. «Inzwischen ist die Wut auf diese mir nahestehenden Menschen, die sich durch einen Suizid aus dem Leben verabschiedet haben, verflogen. Ich kann mit dieser Situation umgehen, es ist ein Teil von mir geworden, den ich akzeptiere.»
Heute geht es Gabriele Petralia-Grimm sehr gut. Sie ist glückliche Mutter zweier Töchter und arbeitet Teilzeit als Eventmanagerin.
Hätte ich etwas tun können? Warum merkte ich nicht, dass es ihr so schlecht geht?
Giordano Giannoccolo unterbricht nach dem Suizid seiner Mutter sein Studium. Er wollte Abstand nehmen vom Alltag. Die Frage, inwiefern er den Tod seiner Mutter hätte verhindern können, belastet ihn schwer.
«Hätte ich etwas tun können? Warum merkte ich nicht, dass es ihr so schlecht geht?», sind zwei von vielen Fragen, die Giordano Giannoccolo immer wieder beschäftigen. Um diesen Fragen nachzugehen geht er offen auf Kollegen zu, spricht mit ihnen über den Tod und den Sinn des Lebens. «Daraus ergaben sich sehr tiefgründige Gespräche, die ich so noch nie mit Kollegen führte. Das war auch ein Gewinn für mich, meinen Freundeskreis als sehr anteilnehmend und unterstützend zu erleben. Das gab mir viel Kraft», erinnert sich Giordano Giannoccolo.
Den Tod seiner Mutter hat er akzeptiert. «Der Verlust ist ein Teil meines Lebens. Er bestimmt aber nicht mein Leben, sondern ich. Durch diese Erkenntnis, die ich auf meinen Reisen erhalten habe, kehrte die Lebensfreude zurück und der Drang, weiterzumachen».