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Umstrittene Jet-Aufrüstung Bis an die Zähne bewaffnete Neutralität

Schweizer Kampfjets sollen künftig Ziele am Boden bombardieren können – auch im Ausland.

Letzte Woche präsentierte das Verteidigungsdepartment den Bericht zur «Luftverteidigung der Zukunft» , die Diskussionsgrundlage für die Beschaffung der neuen Kampfjet-Flotte. Das Werk einer internen Expertengruppe ist 200 Seiten stark, und alles andere als eine Bettlektüre.

Aufschlussreich ist der Bericht aber allemal: Er legt erschöpfend dar, wie die Militärstrategen die Gefährdungslage der Schweiz einschätzen. Das Fazit: Nicht nur Terroristen und Cyberwar bedrohen unser Land; auch der Aufmarsch einer feindlichen Militärmacht ist ein Szenario, für das sich die Armee rüsten muss.

Selbstverständlich gibt es neue Bedrohungen, aber die alten verschwinden nicht.
Autor: Claude Meier Vorsitzender der Expertengruppe / Chef des Armeestabes

Der Bericht skizziert zwar ein derzeit «günstiges sicherheitspolitisches Umfeld»: «Die Wahrscheinlichkeit, dass in Europa ein bewaffneter Grosskonflikt ausbricht, der auch die Schweiz betrifft, ist trotz gestiegener Spannungen zwischen Russland und dem Westen gering.»

Aber: «Allein im Vertrauen auf eine positive Entwicklung die eigene Sicherheit zu vernachlässigen und auf an sich erforderliche militärische Fähigkeiten zu verzichten, wäre mit grossen Risiken behaftet.»

Comeback der «Erdkampffähigkeit»

Eine dieser «erforderlichen Fähigkeiten» ist laut dem VBS, dass Kampfjets Ziele am Boden angreifen können. Mit der Ausmusterung der Hunter-Kampfjets hat die Luftwaffe 1994 die sogenannte Erdkampffähigkeit verloren; nach Ende des Kalten Krieges war sie politisch nicht mehr mehrheitsfähig.

Gripen an einer Flugshow bei Meiringen.
Legende: Am Schweizer Himmel war der Gripen nur bei Testflügen und Flugshows zu bestaunen. Dann folgte das Aus. Keystone

Mit dem Gripen sollte die «Fähigkeitslücke» schliesslich geschlossen werden. Das Volk liess den schwedischen Flieger jedoch 2014 an der Urne «grounden» – mitsamt der Erdkampffähigkeit.

Politischer Zick-Zack-Kurs

Als Reaktion auf die Abstimmungsniederlage wollte das VBS die bestehende F/A-18-Flotte in beschränktem Ausmass «erdkampffähig» machen. Im Februar stellte Verteidigungsminister Guy Parmelin die «Armeebotschaft 2017» vor, verkündete aber einen Rückzieher: Der Gesamtbundesrat sei gegen die Nachrüstung.

Die Regierung wolle sich erst bei der Beschaffung der neuen Kampfjets wieder mit der Erdkampffähigkeit der Flotte befassen. Dem «Tages-Anzeiger» zufolge sah das Departement Leuthard im Vorhaben einen «Doktrinwechsel», über den grundsätzlich diskutiert werden müsse.

Die Mehrheit der Sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrats kam jedoch im Vorfeld der heutigen Parlamentsdebatte zur Armeebotschaft auf die Causa zurück: Die Wiedererlangung der Erdkampffähigkeit sei «angesichts der sicherheitspolitischen Veränderungen der letzten Jahre eine zwingende Notwendigkeit».

Wird die Neutralität geritzt?

Doch wie würde die erdkampffähige Luftwaffe im Ernstfall eingesetzt? Bei «offener bewaffneter Gewalt gegen die Schweiz» wäre sie damit beauftragt, so der Bericht der Expertengruppe, «Schlüsselziele» auszuschalten. Im Ausland wohlgemerkt.

«Bodenziele in einer Bandbreite von 50 bis 200 Kilometern sollen über die Landesgrenze hinaus bekämpft werden können», sagt Bernhard Müller, designierter Kommandant Luftwaffe.

Besagte Ziele reichen von Führungseinrichtungen, Flugplätzen bis hin zu Panzern. Kritiker fürchten einen neutralitätspolitischen Sündenfall.

Abschreckende Massnahme

Die erhöhte Kampfkraft der Schweizer Luftwaffe soll potentielle Angreifer auch abschrecken. Der «Eintrittspreis in die Schweiz» solle möglichst hoch gehalten werden, schreibt die Expertengruppe des VBS:

Eigene Erdkampffähigkeiten stellen für einen Gegner einen ständigen Unsicherheitsfaktor dar (...) Bestenfalls halten sie ihn überhaupt von einem Angriff ab.

Die Planspiele im VBS sind umstritten. Bruno Lezzi, Generalstabsoberst a.D., bezeichnete es gegenüber dem «Bund» als «schleierhaft», für welche Szenarien die Schweiz Erdkampfflugzeuge brauche; der Grüne Altnationalrat Jo Lang mutmasst sogar, die Armee bereite sich darauf vor, dereinst an Nato-Einsätzen teilzunehmen.

Parmelin wehrt sich

In der «Samstagsrundschau» von Radio SRF wies Verteidigungsminister Parmelin die Vorwürfe entschieden zurück. Die Armee betreibe keinen Umbau von einer Defensiv- zu einer Offensivarmee:

Aber wenn man sieht, was nicht weit von uns passiert, müssen wir alle Hypothesen studieren.
Autor: Bundesrat Guy Parmelin Mit Blick auf den Krieg in der Ostukraine

Kampfeinsätze mit der Nato schloss Parmelin kategorisch aus: «Wir sind neutral und müssen selbst vorbereitet sein, wenn uns jemand angreifen will.»

Entsprechende Vorbereitungen hat die Expertengruppe zur Beschaffung der neuen Kampfjets getroffen: Alle vier Optionen – von der Light- bis zur Luxus-Ausführung – können Ziele am Boden angreifen.

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