Das Autobahnende in Zürich-Wiedikon. Tausende Pendlerinnen und Pendler fahren hier in die Stadt Zürich zur Arbeit. Nicht so an diesem Morgen. Als kurz nach 8 Uhr die Ampel auf Rot wechselt, laufen drei Männer in orangefarbenen Westen auf die Strasse, rollen ein «Renovate»-Banner aus kleben sich an die Fahrbahn. Für 20 Minuten ist der Verkehr blockiert. Das Gehupe geht los.
Ein wütender Autofahrer steigt aus und reisst den Aktivisten das Banner aus den Händen. Was sie stoisch über sich ergehen lassen. Sie sind für gewaltfreie Aktionen trainiert. Zehn Minuten später kommt die Polizei, löst die Angeklebten mit Öl von der Strasse und trägt sie weg. Der Verkehr rollt wieder.
Das Ziel
Einer der Aktivisten ist der 47-jährige Sportlehrer Gilbert Rossier. Er hat Verständnis für den Ärger der Verkehrsteilnehmer. Eigentlich widerstrebe es ihm, Leute auf dem Weg zur Arbeit aufzuhalten: «Ja, total Scheisse, ich möchte das eigentlich nicht machen, aber irgendjemand muss es tun.»
Seit Frühling gibt es die Gruppe. In der Westschweiz entstanden, ist sie seit einigen Wochen auch in der Deutschschweiz sehr aktiv und wirbt an Info-Abenden um neue Mitglieder. Im Cabaret Voltaire im Zürcher Niederdorf informieren David und Marie neun Interessierte. Eindringlich warnt Marie davor, dem Klimawandel passiv zuzuschauen: «Wenn wir unsere Liebsten retten wollen, müssen wir jetzt Erfolg haben.»
100 Leute seien aktuell Teil der Bewegung, stellt David fest. Viele seien früher nicht politisch aktiv gewesen, ganz normale Leute. Darunter viele Mütter oder Väter, der Altersdurchschnitt liegt bei ungefähr 40 Jahren.
Mit friedlichen legalen Demonstrationen bewegt sich viel zu wenig.
Acht Leute arbeiten Vollzeit für «Renovate», darunter die 34-jährige Marie, die dafür ihren Job bei einer NGO im Umweltbereich gekündigt hat. Die Gruppe finanziere sich zu 70 Prozent über Spenden, 30 Prozent des Geldes komme aus dem «Climate Emergency Fund». Diese amerikanische Stiftung wurde von vermögenden Erbinnen und Erben in Kalifornien gegründet und unterstützt ähnliche Proteste weltweit.
Es brauche dieses Mittel des Widerstands, ist der 46-jährige David überzeugt: «Mit friedlichen legalen Demonstrationen bewegt sich viel zu wenig.»
«Es ist absoluter Irrsinn»
Die radikale Form steht im Kontrast zur einzigen Forderung von «Renovate Switzerland»: Für bessere Gebäudedämmung soll der Bundesrat vier Milliarden Franken in der Baubranche bereitstellen.
Die illegalen Handlungen sind mit aller Härte zu bestrafen.
Gar nichts von zivilem Ungehorsam hält Mike Egger, SVP-Nationalrat und Mitglied der Umweltkommission: Menschen würden gefährdet, es entstehe extremer wirtschaftlicher Schaden: «Die illegalen Handlungen sind mit aller Härte zu bestrafen. Es ist absoluter Irrsinn.» Ebenso irrsinnig sei die Forderung, mit der Giesskanne Milliarden in die Bauwirtschaft zu verteilen.
Immer mal was Neues
Ob der Ruf nach Milliarden das richtige Mittel im Kampf gegen die Klimakrise ist, will Historiker Christian Koller nicht beurteilen. Spannend findet der Leiter des Schweizerischen Sozialarchivs in Zürich aber die bisher unbekannte Form des Protests: «Man muss auch immer wieder mit etwas Neuem kommen, das Aufmerksamkeit erregt.»
Mit den Klebe-Aktionen sind medienwirksame Bilder garantiert. Aufmerksamkeit sei für den Erfolg einer sozialen Bewegung entscheidend, so Koller. Auch negative Aufmerksamkeit, wenn sie Ärger auslöse. So bleibe das Thema präsent und rücke vielleicht einmal stärker auf die politische Agenda.