Am Sonntag ist Bundesrat Ueli Maurer mit einem T-Shirt der «Freiheitstrychler», einer massnahmenkritischen Gruppe, an einem SVP-Anlass aufgetreten. Ein Bild davon machte die Runde – in den sozialen Medien schlug Maurer viel Kritik entgegen.
Bereits früher fiel Ueli Maurer durch Provokationen auf – unter anderem sein «Kä Luscht» auf eine Frage nach einem Interview sorgte für einigen Wirbel, in der Pandemie haderte er mit der SwissCovid-App und kokettierte mit seiner Impfung. Politologe Michael Hermann erklärt im Interview Motiv und Wirkung von Maurers symbolischen Aktionen.
SRF News: Was bezweckt Ueli Maurer mit solchen Provokationen?
Michael Hermann: Er will zeigen, dass er Sympathien mit dieser Bewegung hat und der offiziellen Corona-Politik des Bundes kritisch gegenüber steht. Er ist geübt darin zu provozieren und weiss, wie man Aufmerksamkeit erregt und eine Botschaft vermittelt. Das beherrschte er schon als Parteipräsident.
Sorgt er damit nicht für eine Spaltung der Gesellschaft?
Die Spaltung ist ja bereits vorhanden – sie wird nicht grösser, weil Maurer das macht. Doch er wäre eigentlich eine Person, die helfen könnte, die Spaltung zu verringern. Er hätte diese Fähigkeit, weil er bei Menschen, die sich von der Politik des Bundesrats nicht abgeholt fühlen, eine hohe Glaubwürdigkeit hat.
Ueli Maurer fiel ja auch durch eine gewisse Impfskepsis auf?
Gerade bei der Impffrage haben sich viele SVP-Exponenten klar für das Impfen ausgesprochen – das untergräbt Ueli Maurer mit seiner Impfskepsis. Es ist schon speziell, wenn ein Bundesrat in einer grundlegenden Frage eine extremere Position vertritt als seine eigene Partei. In dieser Hinsicht unterscheidet er sich auch von seinem Partei- und Bundesratskollegen Guy Parmelin, der Impfen als eine Chance sieht – und sich sehr früh gegen Gratis-Tests ausgesprochen hat. Anhand dieser beiden Bundesräte sieht man auch das breite Spektrum innerhalb der SVP.
Wird ihn der Auftritt im T-Shirt der Freiheitstrychler Sympathien kosten – oder bringt er ihm gar Applaus?
Es hat ihm bereits Applaus eingebracht bei jenen, die dieselbe Einstellung haben. Viele, die anders denken, empören sich natürlich darüber. Schaden wird ihm das aber kaum. Maurer hat mit seinen Provokationen schon oft Kritik geerntet. Dann kommt ein Auftritt als Staatsmann und er kriegt wieder Beifall aus breiten Kreisen – und die letzte Provokation ist vergessen.
Maurer tanzt immer wieder aus der Reihe. Torpediert er damit nicht das Kollegialitätsprinzip im Bundesrat?
Trotz Kollegialitätsprinzip ist es nicht verboten, als Bundesrat eigene Werte und Haltungen zu vertreten. Deshalb finde ich nicht, dass man als Bundesrat nicht mehr individuell politisch sein oder seine Kritik sowie Sympathien nicht mehr zeigen darf. Auch wenn nicht alle das so provokativ machen wie Maurer, tun es alle.
Maurers Provokationen helfen zwar nicht, aber es sind keine direkten Angriffe auf das Kollegialitätsprinzip, solange sie auf der allgemeinen Ebene bleiben.
Was nicht geht, ist, wenn der Bundesrat einen gemeinsamen Entscheid fällt und ein Bundesrat sich danach dagegen positioniert. Maurers Provokationen helfen zwar nicht, aber es sind keine direkten Angriffe auf das Kollegialitätsprinzip, solange sie auf der allgemeinen Ebene bleiben. Problematischer erachtete ich es übrigens, als er sagte, dass für ihn eine Impfdosis genüge. Damit hatte er direkt zur tiefen Schweizer Impfquote beigetragen und indirekt auch der Wirtschaft geschadet.
Können solche Auftritte nicht negativ auf den gesamten Bundesrat zurückfallen?
Klar wäre es positiver, wenn man spüren würde, dass der gesamte Bundesrat am selben Strick zieht. Trotz einzelner Geschichten wie jener von Ueli Maurer ist der Bundesrat gegenwärtig konsequent. Für die Wahrnehmung des Bundesrates ist es schlussendlich viel wichtiger, dass das Handeln des Bundesrates verständlich und klar formuliert ist – und nicht, welches T-Shirt Ueli Maurer trägt.
Als Kommunikationsberater: Würden Sie Maurer nun zu seiner Aktion beglückwünschen oder es als Kommunikationspanne bezeichnen?
Eine Panne ist es garantiert nicht – das war schon immer Ueli Maurers Handschrift als Parteipräsident und in abgewandelter Form als Bundesrat. Seine Aktionen haben dazu geführt, dass er zwar kritisiert wird, aber an Glaubwürdigkeit bei seiner Parteibasis gewinnt. Dieses Ziel hat er erreicht. Ob das jedoch wirklich das Ziel der Kommunikation eines Regierungsmitglieds in Krisenzeiten sein soll, ist eine andere Frage.
Das Gespräch führte Saya Bausch.