Die Antwort ist genau drei Zeilen lang: «Ich benötige Sicherheitspersonal für den Dreischichtbetrieb», also rund um die Uhr. Das schreibt ein Verantwortlicher der Sicherheitsfirma b.i.g., und: «Komm so schnell wie möglich vorbei.» Wenige Tage später steht die Journalistin von SRF Investigativ bereits im Einsatz: Undercover, als Wachfrau in einer Zürcher Asylunterkunft.
Ihr Job ist anspruchsvoll: Asylbewerberinnen kontrollieren, das Personal beschützen, Konflikte verhindern. Vorbereitet wurde sie von der Sicherheitsfirma auf diese Tätigkeit: praktisch gar nicht. Überprüft bei der Anstellung: Fehlanzeige.
Es ist ein drastischer, aber kein Einzelfall. Schweizweit gibt es rund 900 Sicherheitsfirmen und ihre Einsatzorte sind vielfältig: Vor Bars und Clubs, auf Gemeindepatrouillen, im Strassenverkehr oder eben im Asylzentrum. Diese Recherche von SRF Investigativ zeigt, wie unseriös gewisse private Sicherheitsfirmen arbeiten. Sie überprüfen neue Mitarbeitende kaum, bilden diese nicht aus und lassen sie zu tiefen Löhnen und unter teils prekären Bedingungen arbeiten.
Der lausige Lebenslauf
Wenige Wochen vor dem Arbeitseinsatz im Asylzentrum: Die Journalistin stellt einen Lebenslauf zusammen. Prädikat: Lausig. Darin steht etwa Snowboardlehrerin oder Kutscherin. Es sind alles frühere Nebenjobs und wahre Angaben, aber kaum etwas, das auf eine Qualifikation als Sicherheitsmitarbeitende hindeuten würde.
Die meisten Sicherheitsangestellten sind im Kanton Zürich tätig. SRF Investigativ liegt ein Schreiben der Sicherheitsdirektion vor, wonach Sicherheitsfirmen zunehmend gegen das Zürcher Polizeigesetz verstiessen. Die Journalistin bewirbt sich deshalb bei rund 90 Sicherheitsfirmen aus verschiedenen Kantonen, die eine Zürcher Bewilligung haben.
Von Null auf Wachfrau
Bei zehn Firmen führt die Journalistin ein Bewerbungsgespräch oder bekommt direkt ein Jobangebot. Eine dieser Firmen agiert vorbildlich: Verlangt einen Strafregisterauszug, fragt nach Vorkenntnissen und macht die Bewerberin auf die Ausbildungspflicht aufmerksam – wie es der Gesamtarbeitsvertrag der Branche und das Zürcher Polizeigesetz vorschreiben.
Anders läuft es bei den restlichen neun Gesprächen: Der Undercover-Journalistin werden kaum Fragen gestellt, kein Unternehmen verlangt den erforderlichen Strafregisterauszug. Sie erhält teilweise auch telefonisch oder per E-Mail direkt Jobangebote unterbreitet, ohne Vorgespräch – wie im Fall der Zürcher Asylunterkunft.
Vom Parkhaus bis zum Asylzentrum
In der alten Polizeikaserne, so heisst die Asylunterkunft mitten in der Stadt Zürich, hält der Verantwortliche die Einführung an diesem Nachmittag so kurz wie möglich: Er führt die Bewerberin einmal durch und um das Asylzentrum, weist sie darauf hin, dass sie einen allfälligen Feueralarm so schnell wie möglich ausschalten müsse. Sonst komme automatisch die Feuerwehr, was mehrere Tausend Franken koste. Er fragt noch nach ihrer Kleidergrösse für die Uniform; Schuhe müsse sie selbst mitbringen.
«Was, wenn es zu einem Konflikt kommt?», will die Journalistin wissen. Konflikte werde es schon nicht geben, antwortet der Mitarbeiter der Sicherheitsfirma b.i.g. Unerwähnt bleibt, dass die «Polizeikaserne» in der Vergangenheit auch wegen Unruhen in den Schlagzeilen war.
Beim Schlussrundgang um das Gebäude setzt sich ein Drogenabhängiger auf der angrenzenden Wiese gerade eine Spritze. Gleich neben der Asylunterkunft, nahe des Zürcher Hauptbahnhofs, liegt bekannterweise die Drogenszene. «Bring am besten stichfeste Handschuhe mit», so der Rat.
Denn sie wissen nicht, was sie tun
Kurze Zeit später schiebt die Journalistin bereits ihre erste Schicht – gemeinsam mit einem Studenten, ebenfalls ein Neuling und ohne Vorkenntnisse. Bei Schichtbeginn wird beiden vor allem eines nochmals eingeschärft: Feueralarm rechtzeitig ausschalten.
Was darf sie und was nicht als Security? Was muss sie tun, wenn Asylsuchende oder Gäste gewalttätig werden? Wie deeskaliert man mit Worten? Wie könnte sie sich physisch wehren? Es sind Situationen, auf welche die Journalistin weder in der Asylunterkunft noch bei ihren anderen Undercover-Einsätzen vorbereitet wird.
Insgesamt vier Mal arbeitet die Journalistin verdeckt als Sicherheitsfrau: neben dem Asylzentrum auch im Eishockeystadion, vor einem Parkhaus und bei einer Nachtpatrouille.
Lesen Sie hier, wie es ihr dabei ergangen ist:
Parkhaus
Bei ihrem ersten Undercover-Einsatz regelt die Journalistin den Verkehr. Sie arbeitet einen Tag Undercover im Parkhaus Urania, mitten in der Stadt Zürich. Wegen einer Baustelle ist dieses nur einspurig befahrbar: Die Sicherheitsangestellten sollen, in Ergänzung zum Rotlicht, Unfälle durch Autofahrer verhindern. Die zuständige Firma BSD Security GmbH hat mit der Journalistin weder ein Bewerbungsgespräch geführt noch Fragen zu ihrer Person gestellt, sondern der Firmenchef offerierte ihr gleich am Telefon eine Anstellung als Sicherheitsangestellte. Vor Arbeitsbeginn zeigt der Chef der Firma ihr kurz den Arbeitsort, das Parkhaus Urania. Eine Leuchtweste und Hosen werden der Journalistin abgegeben, passende Schuhe hat sie selbst mitzubringen. Vor Ort im Einsatz merkt sie zudem schnell: Das Unfallrisiko war real, immer wieder preschen Autos am Rotlicht vorbei. Und: Ihr wurden auch Minimalinformationen über das Parkhaus nicht vermittelt, so etwa, dass gewisse Leute einen Spezialzugang haben.
Mit der Undercover-Recherche konfrontiert, schreibt der Chef der Sicherheitsfirma, er habe ja vor Ort erklärt, wie die Arbeit funktioniere und es seien auch zwei andere Mitarbeitende dort gewesen. Zudem habe es sich nur um einen Probetag gehandelt. Dies ist, wie Rechtsexperten gegenüber SRF Investigativ sagen, allerdings irrelevant – ein Strafregisterauszug sollte schon bei einem Probetrag vorliegen. Die BSD Security GmbH schreibt weiter, sie arbeite schon seit Jahren erfolgreich im Parkhaus Urania und habe in dieser Zeit nie Reklamationen gehabt. Sie erfülle sämtliche polizeirechtlichen Vorgaben.
Eisstadion
An diesem Oktoberabend trifft in der Eishalle in Kloten der EHC Kloten auf den Tessiner Club Ambri Piotta. Während im Stehsektor dunkel gekleidete Kloten-Fans Fahnen schwingen und Ambri-Anhänger gegen die Scheiben schlagen, steht am Eingangstor die Journalistin. Sie ist mit grüner Leuchtweste ausgerüstet und soll die Taschen der Gäste kontrollieren. Schon in den ersten Minuten greift sie tief in eine der Taschen und wird von einer Kollegin sogleich gewarnt: «Nie einfach so reingreifen, da könnten Spritzen drin sein.» Auch hier lernt die Journalistin erst vor Ort, auf was sie überhaupt achten muss: Eishockey-Pucks zum Beispiel dürfen nicht ins Stadion rein.
Wenige Wochen zuvor hatte sich die Journalistin bei der SIG Security GmbH Undercover beworben und wurde sofort zu einem Infoabend eingeladen. Es wurden ihr weder Fragen zu ihrer Person gestellt noch ein Strafregisterauszug verlangt. Dafür wurde sie aufgefordert, ein Stammdatenblatt des EHC Kloten auszufüllen – und nicht eines der Sicherheitsfirma SIG Security GmbH. Diese Unterscheidung erfolgt mit Absicht: Die SIG Security, die dem EHC Kloten gehört, stellt das Sicherheitspersonal. Der Eishockeyclub wiederum stellt nur sogenannte Stewards an – diese sind vom Zürcher Polizeigesetz ausgenommen, denn nur Sicherheitsfirmen müssen sich an die polizeirechtlichen Vorgaben halten. Das heisst übersetzt auch: Der EHC musste von der Journalistin gar keinen Strafregisterauszug verlangen; die SIG hätte einen solchen verlangen müssen.
Der EHC Kloten betont auf Anfrage von SRF Investigativ, es sei alles korrekt abgelaufen. Die Journalistin habe sich beim EHC anstellen lassen und man habe jederzeit gewusst, wer sie sei. Auch habe die Firma SIG Security GmbH in den vergangenen Jahren mehrere Kontrollen gehabt, die alle ohne Beanstandungen verlaufen seien. Es seien zu keinem Zeitpunkt Mitarbeitende ohne vorgängige Überprüfung angestellt worden. Es gehe nicht darum, rechtliche Schlupflöcher oder Graubereiche gezielt auszunutzen, sondern die Mittel effizient einzusetzen.
Nachtwache
Gespenstisch still ist es beim Revierdienst. So nennt sich die Arbeit, wenn Sicherheitsangestellte nicht stationär sind, sondern auf Nachtpatrouille Gebäude, Büros, Quartieranlagen und so weiter kontrollieren. Die Firma GSD allSecurity hat die Journalistin zum Bewerbungsgespräch eingeladen und stellt ihr anschliessend eine Anstellung in Aussicht. Die Abmachung: Drei, vier Mal soll sie bei einem Revierdienst mit einer erfahrenen Kollegin mitlaufen, danach würde sie allein losgeschickt. Auch die GSD allSecurity verlangt von der Journalistin keinen Strafregisterauszug und stellt kaum Fragen zu ihrer Person. Das ist laut Rechtsexperten heikel, auch wenn es sich lediglich um ein Mitlaufen oder um Probetage handelt, weil Sicherheitsangestellte auf diesen Revierdiensten Einblick in Bürogebäude und möglicherweise auch Geschäftsgeheimnisse haben.
Die GSD allSecurity schreibt in ihrer Antwort an SRF Investigativ, die Journalistin wäre noch tiefgehend vorbereitet und geschult worden: «Die Aussage, dass wir Sie ohne Überprüfung und Schulung alleine auf Nachtpatrouille geschickt hätten, entspricht nicht den Tatsachen. In Ihrem Fall wäre dies erst nach erfolgreichem Abschluss der Ausbildungen und der Vorlage der geforderten Nachweise geschehen.»
Die prekären Arbeitsbedingungen betreffen einen heiklen Bereich. Sicherheitsangestellte haben teils Einblick in innerste Büroräumlichkeiten, betreuen vulnerable Personen oder arbeiten an Gewalthotspots wie Clubs oder Sportevents. Die Undercover-Journalistin hat in solchen Bereichen gearbeitet – ohne vorgängig überprüft zu werden.
Wenig Lohn, viel Risiko
Was die Journalistin Undercover erlebt, bestätigen auch rund ein Dutzend Sicherheitsangestellte, mit denen SRF Investigativ für diese Recherche gesprochen hat. Die Ausbildung werde bei privaten Firmen oft vernachlässigt.
Gemäss den Sicherheitsangestellten ist auch die Ausrüstung bei vielen Firmen ungenügend oder müsse selbst gekauft werden. Dazu kämen tiefe Löhne, teils auch weniger als der Mindestlohn, unbezahlte Überstunden, Kündigungsandrohung bei Krankheit. Viele arbeiten in mehreren Jobs gleichzeitig.
Staatliche Aufgabe in privaten Händen
Private Sicherheitsdienstleister haben in den letzten Jahren einen regelrechten Boom erlebt. Für 2022 weist das Bundesamt für Statistik über 24’000 Sicherheitsangestellte aus – das sind ähnlich viele, wie es Polizisten und Polizistinnen in der Schweiz gibt. Und die Zahl wächst konstant. Die Anzahl der Firmen liegt bei rund 900: Dazu gehören die zwei grossen Branchenplayer Securitas und Protectas, etliche mittelgrosse und sehr viele Kleinstfirmen mit weniger als zehn Angestellten.
Einige Sicherheitsfirmen sind hochspezialisiert, die meisten bieten aber einen ganzen Strauss an Dienstleistungen an: Ihre Mitarbeitenden stehen an den Türen vor Clubs, patrouillieren in Gemeinden, regeln den Verkehr, bewachen Einkaufszentren und Bürogebäude oder kontrollieren Taschen bei Grossveranstaltungen.
Private befördern die Nachfrage. Aber auch der Staat selbst lagert immer mehr Sicherheitsaufgaben aus. Seien dies Gemeindepatrouillen oder Sicherheitsdienste in Gefängnissen, Behindertenheimen oder eben Asylzentren wie der «Polizeikaserne».
Dienst nach Vorschrift
Im Zürcher Asylzentrum hat die Undercover-Journalistin unterdessen ihre ersten Patrouillengänge durch das Gebäude hinter sich. Sie ist am Eingang platziert, kontrolliert die Ausweise der Asylsuchenden. Eine Anweisung, die sie erhalten hat: Sie müsse sicherstellen, dass sich unbegleitete Minderjährige direkt in ihren Wohntrakt begeben. Am Tag zuvor habe es einen sexuellen Übergriff eines Jugendlichen auf ein Mädchen, das im Familientrakt lebt, gegeben.
Zum Vorfall ist am Abend des Undercover-Einsatzes weder vom Personal, das die Asylsuchenden betreut, noch von der Sicherheitsfirma b.i.g. in den Protokollen etwas vermerkt. Bei Schichtende um 23 Uhr spricht die Journalistin den Leiter der Sicherheitsfirma auf den Belästigungsverdacht an. Er weist sie darauf hin, sie habe sich lediglich an das Aufgabenblatt zu halten: Im und um das Gebäude zu patrouillieren, Ausweise zu kontrollieren.
Es geht ums Geld
Juristen, Politikerinnen und Insider sind sich einig: Die Sicherheitsbranche hat ein Problem. Verschärft werde dieses durch eine verzettelte Regulierung – und einen harten Preiskampf. «Wo kann eine Sicherheitsfirma sparen?”, fragt Pascal Cattilaz. Er ist Chef des Branchenverbands Schweizerischer Sicherheitsdienstleistungs-Unternehmer VSSU und antwortet gleich selbst: «Sie kann beim Lohn der Mitarbeiter und bei der Ausbildung sparen.»
Laut Cattilaz sind Sicherheitsdienstleistungen, die mit weniger als 50 Franken pro Beschäftigte und Stunde verrechnet werden, eigentlich nicht seriös umsetzbar. Es gäbe aber immer wieder Auftraggeber, die den Firmen um die 35 Franken zahlten– auch die öffentliche Hand mache beim Preisdumping mit.
Das Dilemma der Zürcher Sicherheitsbehörde
Der Kanton Zürich gibt sich bedeckt, was die Vergabe für das Asylzentrum an die Firma b.i.g. anbelangt. Aus dem einschlägigen öffentlichen Rahmenvertrag ist der Preis jedoch erkennbar: Die Firma b.i.g. verrechnet dem Kanton Zürich demnach 41 Franken pro Beschäftigte und Stunde.
Die Sicherheitsdirektion Zürich, welche für die Asylunterkunft «Polizeikaserne» verantwortlich ist und den Auftrag vergeben hat, nimmt auf Anfrage keine Stellung zum Preis. Die Recherche von SRF Investigativ hat aber Konsequenzen: Die Sicherheitsdirektion hat die Kantonspolizei Basel-Stadt, wo b.i.g. ihren Sitz hat, gebeten, die Firma zu kontrollieren, um allfällige Verstösse gegen das Polizeigesetz zu ahnden. Auch würden die Zürcher Behörden dem Hinweis bezüglich sexueller Belästigung nachgehen.
Das Paradox zeigt sich hier exemplarisch: Es ist die Zürcher Sicherheitsdirektion, die diesen Auftrag für Sicherheitsdienstleistungen im Asylzentrum vergeben hat und eine der billigeren Anbieterinnen gewählt hat. Es ist die gleiche Behörde, welche die Arbeit der privaten Sicherheitsfirmen überprüfen und die Qualität ihrer Arbeit sichern muss.